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Nibelungen 02 - Das Drachenlied

Titel: Nibelungen 02 - Das Drachenlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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aufgebrochen waren, viel mehr als üblich. »Ich frage mich, wann wir zum nächsten Gasthaus kommen.«
    Plötzlich deutete Löwenzahn mit dem Finger ans Ufer und sagte: »Da liegt jemand.«
    Sogleich eilten sie vorwärts. Das Land fiel hier als schmaler Kiesstrand zum Wasser hin ab, und dort, inmitten eines Wirrwarrs aus Wasserpflanzen, war ein Mann angeschwemmt worden. Seine Kleidung war zerrissen, beinahe bis zur Nacktheit, und seine Augen blinzelten blicklos zur Sonne empor. Um seinen Hals hing an einem Lederband ein mächtiges Horn. Er war dunkelhaarig, noch jung, und obgleich das Wasser sein Blut abgewaschen hatten, entdeckten sie doch auf den ersten Blick die furchtbare Wunde, die seine linke Schulter gespalten hatte. Die Verletzung mußte von einer Axt oder einem Breitschwert stammen.
    »Er lebt noch«, stellte Mütterchen fest, die sich als erste über ihn beugte.
    »Nicht mehr lange, so wie’s aussieht«, bemerkte Löwenzahn trocken.
    »Helft mir, ihn aus dem Wasser zu ziehen.« Mütterchen zerrte an seinen Armen. Ein Stöhnen entfuhr den bebenden Lippen des Mannes.
    Löwenzahn drängte Mütterchen und Alberich beiseite und hob den Mann auf wie ein kleines Kind, quer über beide Arme. Dann ging er zurück zum Wegrand und legte den Sterbenden ins weiche Gras.
    Alberich beäugte das alles mit zweifelnden Blicken.
     

     
    Der Mann war des Todes, das war leicht zu erkennen, und jeder Augenblick, den sie hier zubrachten, war verschwendete Zeit. Trotzdem öffnete Alberich seinen Wasserschlauch und wollte ihn dem Mann an die Lippen führen. Mütterchen aber stieß ihn beiseite.
    »Wasser hat er wahrlich genug bekommen, Dummkopf. Wer weiß, wie lange er im Wasser gelegen hat.«
    Mit beleidigter Miene steckte Alberich den Schlauch wieder weg und verlegte sich fortan auf leises Gebrummel. Mit gerümpfter Nase sah er zu, wie Mütterchen auf die Brust des Mannes preßte, als könne sie so das Wasser aus seinen Lungen pumpen. Pure Zeitverschwendung.
    Der Sterbende öffnete plötzlich den Mund und formte ein Wort. Keiner verstand, was er sagen wollte. Noch einmal versuchte er es, und diesmal hörten es alle.
    »… Drache…«
    Sogleich beugten sich die drei über ihn und sprachen wirr auf ihn ein. In dem Durcheinander war nichts mehr zu verstehen, bis Mütterchen zornig ausrief:
    »Seid still, verdammt! Laßt ihn doch sprechen!«
    Alberich und Löwenzahn verstummten schuldbewußt und lauschten.
    »Drache«, keuchte der Mann zum zweiten Mal und starrte immer noch geradewegs in die Sonne. Seine Lider zitterten. »Nicht weit…«
    Sie horchten angestrengter, aber jetzt schwieg der Mann, und es dauerte nur wenige Augenblicke, da schnappte er zum letztenmal nach Luft und starb.
    Die drei sahen sich über seine Leiche hinweg an.
    »Hättest du ihn nicht ein wenig länger am Leben halten können?« knurrte Alberich vorwurfsvoll in Mütterchens Richtung.
    Die Räuberin funkelte ihn wütend an. »Ich bin kein Medicus. Ich verstehe mehr vom Töten als vom Heilen.«
    »Das haben wir gesehen«, klagte Alberich. »So wie du auf seine Brust gedrückt hast, konnte er ja nicht –«
    »He!« keifte sie zurück. »Halt dich zurück, Alberich Horthüter.«
    Löwenzahn hatte dem Toten derweil das Horn abgenommen. Neugierig betrachtete er es von allen Seiten. Dann setzte er das spitze Ende an die Lippen und stieß hinein. Wasser spritzte aus der vorderen Öffnung – genau in Alberichs Gesicht –, gefolgt von einem kümmerlichen Mißton.
    »Gib mal her!« fauchte der Zwerg, der sich mit solchen Dingen auskannte.
    »Unser Horthüter ist ein rechter Spielmann«, bemerkte Löwenzahn eingeschnappt, reichte Alberich aber das Horn.
    Der blickte mit einem Auge hinein, schüttelte das verbliebende Wasser hinaus und führte es dann zum Mund.
    Ein Ton, der selbst die Götter aus ihrem Schlaf reißen mußte, quoll zäh aus dem Horn. Plötzlich wanden sich Mütterchen und Löwenzahn mit schmerzverzerrten Gesichtern am Boden, ihre Hände auf die Ohren gepreßt.
    Alberich ließ erstaunt von dem Horn ab und starrte sie an. »So schlimm war es nun auch nicht.«
    Mütterchens Augen waren blutunterlaufen, als sie ihn in maßloser Verwirrung anstarrte. Da erst begriff er, daß sie echten, körperlichen Schmerz empfunden hatte. Der Klang des Horns tat weh.
    »Tu das nie wieder…«, stöhnte sie.
    »Bei allen Göttern«, stieß Löwenzahn hervor, »was war das?«
    Alberich sah verwundert seine Gefährten an, dann das Horn, und schon setzte er es erneut an

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