Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
lachte leise. »Ein guter Herr weiß stets, wo sich seine Knechte und Dienstmägde herumtreiben. Ein Stal l bursche hat mir verraten, daß du dich gelegentlich hier oben verkriechst. Übrigens habe ich gerade beschlossen, daß es doch nicht weise ist, dich völlig ungestraft davonkommen zu lassen. Immerhin hat mich deine Dummheit heute abend ein Paar fast neue Reitstiefel gekostet.«
Golo zuckte innerlich zusammen. »Aber Ihr sagtet doch … «
»Ich hab ’ s mir anders überlegt. Gib mir deine Schuhe!«
»Meine Schuhe?«
»Glotz mich nicht an wie eine Kuh und tu endlich, was ich dir befehle. Ich habe nicht vor, die Nacht hier in einem Heuhaufen zu verbringen. Im Sommer und mit einem hübschen Mädchen im Arm mag das seinen Reiz haben, aber im Moment ist es en t schieden zu ungemütlich in einem Stall. Im Burghof laufen wahrscheinlich immer noch ein paar aufgebrachte Sachsen he r um und suchen nach einem Mann, der in dieser Eiseskälte ba r fuß unterwegs ist. Wahrscheinlich helfen ihnen mittlerweile sogar schon die Wachen König Gunthers. Deine Schuhe sind zwar meinem Stand nicht ganz angemessen, aber in der Du n kelheit wird das schon keinem auffallen.«
Golo löste die Lederriemen seiner Bundschuhe. Diese Sache hatte doch einen Haken! »Wie soll ich denn zu meinem Schla f platz in der Küche gelangen, wenn Ihr jetzt … «
Der Spielmann grinste. »Es ist sicher keine gute Idee, in den nächsten Stunden barfuß über den Burghof zu spazieren. Du weißt ja, diese Barbaren … Aber hier ist es ja auch ganz gemü t lich. Du hast eine Decke und das warme Heu. Ich finde, für e i nen Knecht ist das eine ganz gute Unterkunft.« Volker war in die Bundschuhe geschlüpft und verneigte sich mit großer Ge s te. »Du entschuldigst mich jetzt. Ich brauche meinen Schlaf. So wie die Dinge stehen, wird morgen bei Hof einiger Aufruhr herrschen … «
Volker war überrascht vom Geschick, mit dem die Barbaren die Ereignisse der vorangegangenen Nacht verschleierten. Überall bei Hof war die Rede von einem tollkühnen Dieb, der an der Mauer des Turms hinaufgeklettert sein mußte, um den Schmuck der Prinzessin Amalasfrida zu stehlen. Damit wurde die Angelegenheit nun wiederum im höchsten Grade peinlich für König Gunther, der, so wie es schien, nicht einmal innerhalb der Mauern seiner Burg das Zepter in der Hand hielt. Beinahe wäre es schon am frühen Morgen zu einem Duell zwischen Gernot und einem der Sachsen gekommen, weil die Gesandten keine Gelegenheit ausließen, von der Schwäche des Königs zu tönen, und in ihrer Impertinenz forderten, daß der Schuldige bis zum Mittag des kommenden Tages gefunden und zur R e chenschaft gezogen werden sollte.
Mit schlechtem Gewissen hörte Volker dem Gerede zu und begann darüber nachzudenken, ob er sich nicht stellen sollte, um den Ruf seines Königs zu retten. Amalasfrida und Horsa waren zum Mittagsmahl gemeinsam an der königlichen Tafel erschienen, und nichts deutete darauf hin, daß sich die beiden im Streit befanden. Zum ersten Mal fragte sich der Spielmann, ob es wirklich nur seine schönen Worte waren, denen die Pri n zessin verfallen war. Sie hatte recht schnell seinem Werben nachgegeben … War er es am Ende, der zum Opfer einer Intrige geworden war? Suchten die Sachsen einen Anlaß, um den Krieg mit Burgund fortzuführen? Und hatte er ihnen diesen Anlaß nun geliefert?
Er mußte die Ehre seines Königs reinwaschen! Er konnte nicht einfach tatenlos bei diesem Intrigenspiel der Barbaren zusehen. Gerade wollte er sich erheben und in die Mitte des Saales tr e ten, als Hagen hinter seinen Stuhl trat.
»Folgt mir auf den Hof, Herr Volker!« Die Worte waren nur geflüstert, doch in einem Tonfall, der Volker kalte Schauer über den Rücken laufen ließ. Der große, hagere Mann hatte immer etwas Unheimliches, und die meisten bei Hof mieden ihn. Doch sie beide hatten bislang stets ein gutes Verhältnis zueinander gehabt. Hagen hatte ihn im Schwertkampf unterrichtet und ihm oft mit weisem Rat zur Seite gestanden. Das Wort des dunklen Kriegers galt ihm mehr als selbst das seines leiblichen Vaters. In gewisser Weise sah er in dem Tronjer seinen Mentor. Auch wenn das düstere, melancholische Wesen des Recken seinem eigenen Charakter völlig zuwiderlief.
Einen Augenblick lang blickte der Spielmann Hagen u n schlüssig nach. Wie stets trug er seinen langen schwarzen U m hang, einen schwarzen Waffenrock und darunter sein g e schwärztes Kettenhemd. Auch hatte er sein Schwert umgegü r
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