Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
Meine Flucht wird heute ein Ende haben!« Golo stand auf und trat zur Tür. Die Bauern wichen zur Seite. Der Knecht konnte seinen Herren jetzt sehen. Volkers Auftritt war eindrucksvoll wie i m mer. Auf seinem weißen Hengst mit dem weiten scharlachroten Umhang und dem weißen Waffenrock sah er aus wie ein Recke aus den Liedern der Spielleute. Das blanke Schwert in der Hand, ließ er sein Pferd steigen und trieb es dann in Richtung der Schenke. Überall vor den armseligen Häusern des Dorfes hatten sich Schaulustige versammelt.
Golo stieß die Tür des Wirtshauses auf. »Wohlan denn, Herr von Alzey. Laßt uns unseren Zwist zu Ende bringen!« Wenig s tens hatte es inzwischen aufgehört zu regnen.
»Endlich ist die Stunde der Rache gekommen, du Wicht! Fünfhundert Meilen bin ich dir gefolgt!« Der Spielmann schwang sich aus dem Sattel und trat mit gesenktem Schwert auf ihn zu. »Nimm das!« Mit kraftvollem Stoß versuchte er, dem Knecht die Waffe in den Leib zu rammen. Wohl hunder t mal hatten sie dieses Spiel auf ihrer Reise geprobt, doch Golo hatte stets Angst davor. Er machte einen Schritt zur Seite und ließ die Klinge des Ritters an seiner Waffe abgleiten. Volker setzte nach und stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. Wie üblich war der Treffer auch diesmal heftiger als vereinbart, und Golo ging stöhnend in die Knie.
»Komm hoch, du elender Wurm, und wehr dich.«
Der Knappe blieb in der Tür am Boden hocken und rieb sich über die Rippen. Er haßte diese Auftritte!
»Es ist eine Schande, wenn ich meine Klinge mit deinem Blut besudle, Bastard. Du führst dein Schwert wie einen Besenstiel.«
Golo konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie einige der Bauern grinsten. Für sie war das Schauspiel eine unterhaltsame Abwechslung im täglichen Einerlei.
»Du weißt, daß man mich den besten Schwertkämpfer von Burgund nennt, obwohl meine Bescheidenheit es mir verbietet, diesen Titel anzuerkennen. Wenn ich also unter diesen U m ständen gegen dich kämpfen würde, so könnte man mich zu Recht einen Mörder nennen. Damit auch dir die Hoffnung bleibt zu obsiegen, werde ich nun meine Augen verbinden und blind gegen dich weiterkämpfen. Das Duell endet, wenn einer von uns beiden in seinem Blute am Boden liegt.«
Golo kämpfte sich mit einem Seufzer auf die Beine. »Ihr seid von Sinnen, Herr. Wer vermag es schon, sich mit verbundenen Augen zu wehren.« Der Knecht konnte hören, wie die Bauern hinter ihm wetteten, wer den Zweikampf gewinnen würde. Ärgerlicherweise setzte kaum jemand auf ihn.
»Schweig, du Rattengesicht!« tönte Volker, dem seine Rolle stets großes Vergnügen bereitete. »Was weißt du schon von Ritterlichkeit und Schwertkunst? Glaube nicht, daß dein Sieg schon gewiß ist.«
»Wohlan, bringen wir unseren Streit zu Ende! Möge der Herr Eurer Seele gnädig sein.«
»Du!« Der Spielmann zeigte auf das hübscheste unter den jungen Bauernmädchen, die dem Spektakel zusahen. »Komm zu mir und verbinde mir mit dem Tuch, das du um den Hals trägst, die Augen. Und schenk mir ein Gebet, auf daß du nicht zur Nacht mein Blut aus dem Stoff waschen mußt.« Es wurde schlagartig still auf dem Platz. Unruhig blickte sich Golo um. Für gewöhnlich konnte man an dieser Stelle den einen oder a n deren der Zuschauer hämisch grinsen sehen. Das Mädchen mit dem Tuch war leichenblaß geworden. Sie schlug ein Kreuz und bewegte die Lippen, als spreche sie tatsächlich ein leises Gebet.
»Deine Sorge um mich ehrt dich, Kleine. Doch sei gewiß, daß mir kein Unglück widerfahren wird. Ich habe noch niemals ein Duell verloren. Herr Golo, macht Euren Frieden mit Gott.«
Volker kniete nieder, damit das Mädchen ihm die Augen ve r binden konnte. Natürlich dachte er nicht daran, seinen Waffe n rock zur Seite zu schlagen oder einfach nur sein Haupt zu be u gen. Er mußte den Dreck ja nicht auswaschen! Mindestens hundertmal hatte Golo schon versucht, ihm auszureden, wä h rend der Reise das weiße Gewand zu tragen. Jeden Schlam m spritzer sah man darauf! Der Knecht packte sein Schwert fester und ging auf den Dorfplatz hinaus.
Das Mädchen hatte dem Spielmann inzwischen die Augen verbunden. Die Klinge leicht angehoben, wartete er auf Golo. »Gut, Herr, Ihr habt es so gewollt!« Golo berührte mit seiner Waffe die Spitze von Volkers Schwert. »Bringen wir es hinter uns!« Mit drei schnellen Schlägen eröffnete der Knecht das G e fecht. Volker parierte die Angriffe mühelos.
Golo machte einen Satz zurück und rutschte dabei
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