Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
Burschen, die ihre rechte Hand opfern würden, um derart vom Schicksal begünstigt zu werden.
»Der Wirt sagt, daß der Waschplatz eine halbe Meile nördlich vom Dorf liegt. Dort verläuft ein kleiner Fluß, in den ein flacher Felsen hineinragt. Angeblich gibt es dort Feenwesen, die gar nicht gut auf Menschen zu sprechen sind. Baron Rollo hat vo r gestern eigenhändig eine Eiche in einem heiligen Hain gefällt, um gegen den Aberglauben der Bauern und Fischer vorzug e hen. Jetzt flüstern sie, daß eine Fee namens Morrigan kommen wird, um ihn zu holen. Nach Dunkelheit wird sich keiner mehr vor die Tür wagen. Sieh also zu, daß du beizeiten zurück bist. Ich werde heute abend in der Schenke zur Laute singen. Dafür sind das Zimmer und das Essen frei. Schlag dir den Bauch voll! Man hat ein Zicklein für uns geschlachtet.«
»Jawohl, Herr Ritter!« Golo verbeugte sich übertrieben unte r würfig.
»Übrigens, unser Quartier wirst du in der Nacht wohl für dich alleine haben. Es sieht so aus, als habe die Kleine, die mir die Augen verbunden hat, ein Herz für arme Spielleute, die sich mit griesgrämigen Dienern herumschlagen müssen. Solltest du also jemanden finden, der mit dir das Lager teilen will … Nur zu! Und jetzt zieh los. Um Lanzenbrecher kümmere ich mich.«
Golo verließ den Stall, ohne auch nur ein Wort zu verlieren. Volker blickte ihm eine Weile nach. Dummer Bauerntrampel! Wenn der Junge erst einmal einen Feind mit herausquellenden Därmen vor seinen Füßen verrecken gesehen hätte, würde er vielleicht anders über ihr kleines Duell denken. Wem schadete dieser Betrug? Die Bauern hatten ein Schauspiel, und sie beide konnten sicher sein, ihre Reise ein Stück weit unbehelligt for t zusetzen. Offenbar hatte Golo die schönen Lieder über Helden zu ernst genommen. Das Leben sah anders aus! Volker lachte leise. Er jedenfalls würde einen Abend mit einem Bauernmä d chen im Arm jederzeit einer Schlacht vorziehen.
2. KAPITEL
ach der Nacht im Dorf hatte es aufgehört zu regnen. Endlich schien der endlose Winter vorüber zu sein. Zum ersten Mal fi e len Golo Blumen am Wegesrand auf. Er mußte oft an die G e schichten über die Fee Morrigan denken, die er im Dorf gehört hatte. A n geblich war sie die Herrscherin der Sümpfe und regierte in e i nem verwunschenen Königreich, das jenseits der Nebel lag, die morgens über das brackige Wasser zogen. Seitdem er diese G e schichte kannte, sah er die Landschaft mit a n deren Augen. Aufmerksam beobachtete er den Sumpf. Er wu ß te genau, daß er mit keinem anderem Menschen als Volker durch diese Lan d schaft reiten würde.
Die Methoden des Spielmanns mochte er immer noch nicht gutheißen, doch mußte er sich eingestehen, daß sie auf ihrer ganzen Reise noch keine Begegnung mit Räubern hatten. Vie l leicht würde er die Sache mit den fingierten Duellen auch eher akzeptieren können, wenn Volker nicht jedes Mal noch die G e legenheit dazu nutzen würde, die Dorfschöne zu verführen. Wenn er an ihren Abschied vor anderthalb Tagen dachte, wu r de ihm ganz schlecht. Rosanne hieß das Mädchen. Die Kleine hatte drei Meilen hinter dem Dorf an einem Wegkreuz auf sie gewartet. Neben ihr hatte ein kleines Bündel gelegen. Sie schien tatsächlich geglaubt zu haben, Volker sei genauso unsterblich verliebt wie sie und würde sie auf seiner Reise mitnehmen, so wie es die Ritter in den Liedern der Sänger manchmal taten. Der Spielmann konnte ihr sehr wortgewandt erklären, warum das unmöglich war. Sie hatte ihn mit großen Augen angesehen und zu jedem seiner herzlosen Argumente artig genickt. Ihr rannen dabei Tränen über die Wangen, doch das Schluchzen hatte sie mit zusammengekniffenen Lippen unterdrücken kö n nen. Golo hätte seinen Herren in dem Moment am liebsten g e ohrfeigt. Wie brachte Volker es nur fertig, so ergreifend von der Liebe zu singen und doch selbst so ohne Gefühl zu sein?
Der Knecht ballte seine Hände zu Fäusten. Er würde seinen Kopf darauf verwetten, daß die Kleine noch Jungfrau gewesen war. Ob sein Herr sich überhaupt im klaren war, was das für das Mädchen bedeutete? Sie würde keinen Mann mehr finden in ihrem Dorf. Wahrscheinlich hatte sie ihr Bündel genommen und war die Straße entlanggezogen. Sie würde eine Dirne, eine Schankmaid oder Baderin werden …
»Siehst du den Rauch dort vorne?« Volker hatte sein Pferd gezügelt und wies nach Westen. »Das ist doch die Richtung, in der das Gut des Barons liegt!«
»Das mag wohl sein«, brummte
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