Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
Golo einsilbig.
»Ich reite voraus. Vielleicht braucht man unsere Hilfe. Komm mit dem Packpferd so schnell wie möglich nach.« Volker gab seinem Hengst die Sporen und galoppierte davon.
Der Knecht blickte zu der Rauchsäule. Es mußte sich um ein großes Feuer handeln! Als er noch ein Kind war, hatte er einmal von weitem eine brennende Scheune gesehen. Damals war es ihm so vorgekommen, als wollten die Flammen bis in den Himmel schlagen, doch dieses Feuer schien noch größer zu sein. Es war windstill, und die Rauchwolke erhob sich wie ein riesiger, grauschwarzer Turm über die Sumpflandschaft. Daß es ausgerechnet an dem Tag ihrer Ankunft in der Nähe des Ri t tergutes brannte, würde man sicher als ein böses Omen b e trachten. Und dort mußten sie den Sommer verbringen …
Schon von weitem konnte Volker erkennen, daß das große Ri t tergut nicht mehr zu retten war. Die Gebäude standen in lichten Flammen, und noch bevor er den Landsitz erreichte, brach der hohe Bergfried mit Getöse in sich zusammen. In weitem A b stand um die brennenden Gebäude standen Bauern und Knec h te. Keiner von ihnen unternahm etwas, um die Flammen zu bekämpfen. Volker fluchte. Wie konnten diese Trottel nur tate n los zusehen, wie die kleine Burg abbrannte? Er gab dem Hengst die Sporen und jagte in halsbrecherischem Galopp den schm a len Knüppeldamm entlang, der durch den Sumpf führte.
Der Herrensitz lag auf einem kleinen Hügel, der sich aus der Sumpflandschaft erhob. Bis dicht unter die Mauern der Burg reichten Felder, und die Gegend rings um den Hügel war mit zahlreichen Entwässerungsgräben durchzogen. Die Grenze zum Sumpf markierte ein Dickicht aus mächtigen, alten We i den, deren dürre Äste bis ins faulige Wasser hinabhingen.
Am Fuß des Hügels zügelte Volker den Hengst, sprang aus dem Sattel und lief auf die Bauern zu. »Was im Namen des Herren ist hier geschehen? Warum steht ihr tatenlos herum, statt das Feuer zu löschen?«
»Das Feuer ist zu groß«, erklärte ein kleiner, untersetzter Mann. »Außerdem wollen wir nicht so enden wie der Baron. Wir wissen, daß man das Nachtvolk nicht reizen darf. Der Normanne hat durch seine Taten Macha herbeigerufen. Siehst du die Pfähle dort hinten bei den Weiden? Das geschieht allen, die die Königin im Federkleid beleidigen.« Der Mann wies auf einen Kreis aus Pfählen im Schatten einiger mächtiger Weiden. Dort waren die Köpfe von Erschlagenen aufgespießt worden.
»Willst du sagen, daß keiner von euch geholfen hat, den B a ron zu verteidigen?«
Der kleine Mann lachte. »Du bist hier genauso fremd wie der Baron. Jeder, der bei den Sümpfen wohnt, weiß, daß es sinnlos ist, gegen das Nachtvolk zu kämpfen. Genausogut könntest du versuchen, in der Dämmerung mit dem Schwert in der Hand den Nebel in die Sümpfe zurückzutreiben. Man kann sie nicht mit Waffen besiegen. Sieh dich um! Rollos normannische Wa f fenknechte haben gekämpft letzte Nacht. Siehst du auch nur einen toten Feenritter? Wir sind in unseren Hütten geblieben und haben Türen und Fenster verriegelt. Letzte Nacht, kurz nach der Dämmerung, hat es angefangen. Im Nebel erklang der Lärm ihrer Hörner. Es war ein Getöse, als wolle ein Schwarm wütender Drachen über uns herfallen. Dann kam das Feenvolk aus dem Sumpf. Erst waren Schreie und Waffenlärm zu hören, doch bald schon erklangen nur noch Schreie.«
»Wer von euch ist hier der Anführer?«
Der Mann fuhr sich über sein stoppeliges Kinn. »Es gibt jetzt keinen Baron und keinen Vogt mehr. Wenn wir Rat suchen, fragen wir den alten Jean. Er steht dort drüben, bei den Pfählen. Der Mann mit dem kurzgeschorenen weißen Haar.«
Volker stieg den flachen Hügel hinab. Die Bauern senkten den Blick, als er an ihnen vorüberging. Er konnte nicht begreifen, was sie so sehr in Schrecken versetzte. Feenritter, so ein Unsinn!
Der Alte kniete neben den Pfählen, und es schien, als bete er. Erst als er bis auf zwei Schritt an den Bauern heran war, konnte Volker die Worte des Bauern verstehen. » … Herrin auf den schwarzen Schwingen. Vergib uns unsere Schuld und sei gn ä dig zu denen, die deine Kinder mit sich genommen haben. Es war nicht unsere Schuld. Der Baron war ein Fremder, der taub war für die Gesetze unseres Landes … Wir hatten ihn gewarnt, nachtschwarze Herrin des Todes.«
Volker betrachtete die Köpfe der Toten auf den blutverkrust e ten Pfählen. Es waren nur Männer. Manche der Gesichter w a ren zu gräßlichen Grimassen verzogen, so als
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