Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
beaufsichtigt hatten, an die beiden Fässer mit der stinkenden Flüssigkeit. Sie tauchten grobe Pinsel in den schwarzen Schlamm und bestrichen dann die Strohma n schetten um die Krüge damit. Anschließend traten sie hastig zurück und warfen dem Mann mit den Bartstoppeln einen e r wartungsvollen Blick zu. Dieser nickte, trat an die Feuerschale und entzündete dort eine Fackel. Dann hielt er die Flammen an einen der Krüge, und augenblicklich griff die Glut auf den Schlamm über. Dicker, öliger Rauch stieg auf. Der Grieche brüllte einen Befehl, und einer der Waffenknechte riß einen H e bel an der Seite des Geschützes herum. Der Katapultarm schnellte hoch und schleuderte den Krug in die Luft. Das G e schoß war jetzt von einem dichten Flammenmantel umhüllt und zog einen langen Schweif aus dunklem Rauch hinter sich her. Nach kurzem Flug senkte es sich auf die Stadt herab und verschwand zwischen den Häusern. Fast im nächsten Auge n blick reckte sich eine Flammenzunge zwischen den schilfg e deckten Häuserdächern empor. Das Feuer griff auf die Dac h giebel über.
Der Geschützmeister drehte sich zu den normannischen Ri t tern um und grinste überheblich. »Wie Ihr seht, meine Herren, brennt griechischer Wein nicht nur in der Kehle.«
Seine Waffenknechte machten sich bereits an den Winden zu schaffen, mit denen das Geschütz erneut gespannt wurde. Ein i ge Herzschläge lang genoß der Byzantiner ihr Staunen, dann wandte er sich zu seinen Geschützen um und steckte das näch s te Geschoß in Brand. Eine zweite glühende Feuerkugel stieg in den Himmel und flog der Stadt entgegen.
In der Hölle konnte es nicht schlimmer sein, dachte Volker, während er dafür sorgte, daß seine Krieger die Stadt unterhalb der Burg räumten. Mehr als zwei Dutzend Brände gab es b e reits. Das Feuer, das die Normannen in die Stadt schleuderten, ließ sich mit Wasser nicht löschen. Der Spielmann hatte so e t was noch nie zuvor gesehen. Die Flammen brannten sogar auf nacktem Stein und Pfützen. Woher sonst als aus der Hölle konnte solches Feuer kommen!
»Treibt das Vieh aus den Ställen«, rief er einer Gruppe junger Krieger zu, die voller Entsetzen in die Flammen starrten. Sie waren noch Knaben, und wahrscheinlich hatte noch keiner von ihnen mehr als fünfzehn Sommer gesehen. Volker fluchte. Die Lage der Stadt war verzweifelt! Er hatte nicht genug Kämpfer, um den ersten der drei Wallringe lückenlos zu besetzen. Wenn die Normannen von mehreren Seiten gleichzeitig angriffen, würden sie mit Sicherheit schon bei ihrem ersten Sturm die Verteidigungslinie durchbrechen.
Seit der Niederlage am Trophäenbaum hatten die Krieger des Nachtvolks ihn als Anführer akzeptiert, doch wann immer Macha erschien, galten seine Befehle nichts mehr. Willig folgten sie den Worten der Rabengöttin, auch wenn offensichtlich war, daß sie die Lage der Stadt nicht richtig einzuschätzen vermoc h te. Hätte dieses törichte Weib nur auf ihn gehört und den A n griff auf die Normannen nach dem Anfangserfolg sofort abg e brochen! Dann stünden sie jetzt nicht so schlecht da!
Sie war es auch, die befohlen hatte, den vordersten Wall zu verteidigen, obwohl es offensichtlich war, daß sie dazu nicht genug Männer hatten. Volker hatte zwanzig der besten Käm p fer zu einer Gruppe zusammengefaßt und sie ein Stück hinter den Wällen plaziert. Wann immer die Normannen an einem Mauerabschnitt durchbrachen, sollte diese Elitetruppe in die Bresche stürmen, um die Angreifer wieder zurückzudrängen. Doch auch das wäre nur ein Tropfen auf einen heißen Stein. Draußen vor den Mauern hatten über tausend Feinde ihr Lager aufgeschlagen, und Volker hatte nicht einmal mehr hundert brauchbare Kämpfer. Selbst nachdem die Knaben und alten Männer bewaffnet worden waren, stieg die Zahl der Verteid i ger kaum über zweihundert. Auch wenn die Männer des Nachtvolks wie die Löwen kämpften und jeder von ihnen zwei oder drei Normannen erschlagen würde, war ihre Stadt verl o ren. Es gab keine Hoffnung mehr. Das einzige, was sie jetzt noch retten konnte, war ein Wunder. Doch durften Heiden in der Welt Gottes mit solcher Gnade rechnen?
Volker war allein auf einer der Straßen der brennenden U n terstadt. Alle Zivilisten mußten hier unten verschwinden. Ma n che wollten nicht einsehen, daß der Kampf gegen das Feuer aussichtslos war. Andere versuchten verzweifelt, ihre Habe zu retten. Zu allem Unglück war der Wind auch noch aufgefrischt und ließ die Flammen von Dach zu Dach
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