Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin
Fersen mit so viel Kraft in die Seiten, daß es sich schmerzerfüllt aufbäumte.
»Jodokus!« schrie sie ihn an. »Jodokus, komm zu dir!«
»Ich…«
»Da ist niemand!« Sie streckte die Hand aus, als wollte sie nach ihm greifen, obwohl er längst einige Schritte entfernt war. »Wir sind allein. Es ist niemand hier. Was immer du gehört hast, es war nicht wirklich.«
»Nicht wirklich?« Er zügelte sein Pferd und wandte sich im Sattel herum. In seinen Augen loderte etwas, das Wahnsinn gefährlich nahekam. »Nicht… wirklich?« stammelte er noch einmal.
»Nein, Jodokus. Es gibt keine Gefahr. Nicht hier.«
Ein irres Lachen flackerte wie der Widerschein eines Scheiterhaufens über seine Züge. »Du weißt ja nicht, wovon du sprichst. Nichts weißt du!«
»Sind es die Götter, Jodokus? Glaubst du wirklich, sie wären hinter dir her? Jetzt, in diesem Augenblick?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bleibe nicht hier. Komm mit mir oder laß es, aber ich bleibe nicht!«
Sie ahnte, daß ihr die Argumente ausgehen würden, wenn er sich auf das eine, das einzige nicht einließ. Dennoch versuchte sie es erneut: »Auf diesem Weg, in diesem ganzen Wald ist niemand! Keiner will uns etwas Böses antun! Herrgott, schau doch hin – es ist niemand zu sehen!«
Zu ihrem Erstaunen verharrte er einen Moment lang wie versteinert, dann verzogen sich seine Mundwinkel zu einem bösen Grinsen. »Niemand zu sehen«, wiederholte er ihre Worte. »Natürlich nicht. Aber ich höre sie, begreifst du? Ich kann sie hören!«
Und als wollte die Natur seine Worte unterstreichen, ging plötzlich ein Beben durch die laue Luft der Abenddämmerung. Tatsächlich war es nichts, das man mit menschlichen Augen hätte wahrnehmen können. Kriemhild spürte es nur, sie fühlte, wie etwas in ihrem Inneren in Regung geriet, zu zittern begann, Alarm schlug wie eine Glocke auf dem höchsten Turm einer Fluchtburg.
Dann hörte sie es. Hörte endlich, war Jodokus meinte.
Zuerst klang es wie ferner Donner, die ersten Vorboten eines Sommergewitters. Dann wurde es lauter, rasend schnell, als triebe etwas die Wolken mit gewaltigen Schwingen über den Himmel, triebe sie genau auf den Hohlweg zu, erst unbestimmt aus allen Richtungen zugleich, dann von hinten, von dort, woher sie gekommen waren.
Jodokus hatte recht.
Der Sänger schrie gequält auf, als hätte ihn ein Schwertstreich getroffen. Sein Gesicht verzerrte sich vollends zur Grimasse, dann trat er erneut auf sein Pferd ein. Diesmal gehorchte es, fast so als spüre es selbst, daß etwas näher kam, das sie alle vernichten würde.
Kriemhild starrte zum hinteren Ende des Hohlwegs, erschüttert und wie versteinert. Noch immer war nichts zu sehen. Aber sie konnte es doch hören! Hörte doch, wie es auf sie zuraste, viel zu schnell, als daß irgendwer ihm hätte entkommen können. Jodokus’ Flucht war so lächerlich wie zwecklos. Es hatte ihn längst in seiner Gewalt, ihn und Kriemhild und jeden anderen, den es fangen, packen, zermalmen wollte. Längst war ihnen jede freie Entscheidung, jede Wahl, jede Hoffnung genommen worden. Es kam näher, und es würde sie einholen. Bald schon, gleich –
Jetzt.
Es war kein Donner – es waren Pferdehufe! Lauter als alles, was Kriemhild je vernommen hatte. Hufe so dröhnend, als würden sie über Holzbohlen trampeln, nur unendlich kraftvoller, als trügen sie ihr eigenes Echo in sich, das wieder und wieder und wieder ertönte. Sie kamen von Norden, sprengten auf sie zu, aber nicht durch den Hohlweg, sondern über ihn hinweg. Kriemhild preßte beide Hände auf die Ohren, kniff die Augen zusammen und schrie vor Pein. Ihr Kopf drohte auseinanderzubrechen, zu platzen wie eine reife Frucht in der Sommerhitze. Unter ihr verschwanden Sattel und Pferd, als das Tier sich aufbäumte, auf die Hinterbeine stieg und sie abwarf. Mit dem Rücken krachte Kriemhild auf die harten Wurzelstränge, doch dieser Schmerz war nichts verglichen mit dem in ihrem Schädel.
Und immer noch waren die Hufe nicht gänzlich herangekommen, immer noch wurden sie lauter, mächtiger, vernichtender. Das Blätterdach über dem Hohlweg vibrierte wie eine Brücke unter dem Aufmarsch einer Armee. Die Bewegung raste auf sie zu, erst fern, dann nah, dann über ihnen. Zweige und armdicke Äste regneten herab, schlugen rechts und links am Boden auf. Eine Astgabel traf Kriemhilds Pferd am Kopf, es stellte sich zum zweiten Mal auf und ging gleich darauf durch. In einem Wirbel aus Grau und Weiß und Dämmerlicht stob
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