Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin
es davon, verschwand blitzartig wie Treibholz inmitten eines Wasserstrudels.
Kriemhild wälzte sich am Boden, blind und gefühllos, nur noch Gehör, eine einzige verletzliche Membran, die unter machtvollen Paukenschlägen erbebte.
Aber was immer es auch war, es tötete sie nicht.
Irgendwie gelang es ihr, sich auf die Füße zu stemmen, ungeachtet des ohrenbetäubenden Lärms und der prasselnden Zweige. Wenige Schritte vor ihr wälzte sich Jodokus am Boden. Sein Pferd war ebenso wie ihr eigenes am Ende des Hohlwegs verschwunden. Kriemhild brüllte seinen Namen, zerrte an seinen Armen, und schließlich schlug er die Augen auf und blickte sie an. Der Schmerz darin entsetzte sie. Es war der stumme Aufschrei einer geschundenen Seele, die viel zu lange schon von etwas gequält wurde, das sie nicht wirklich erfassen konnte.
»Wir müssen hier weg!«
Der Sänger schüttelte hastig den Kopf. »Zu spät!« formten seine Lippen, aber kaum ein Laut drang hervor.
Kriemhild packte ihn, riß ihn mit aller Kraft auf die Beine. Stolperte mit ihm vorwärts, durch einen Regen aus Holz und Laub. Immer wieder verhakten sich ihre Füße in den Wurzelsträngen, immer wieder brach Jodokus in die Knie, um von Kriemhild weitergezerrt zu werden. Das Ende des Hohlwegs kam näher, doch mittlerweile war es auch dort kaum noch heller.
Einmal schaute Kriemhild sich um und sah, daß sich das Getöse in ihrem Rücken legte, daß sich das Blätterdach hinter ihnen beruhigte und keine weiteren Zweige zu Boden fielen. Doch als sie stehenblieb, um das monströse Hufgetrampel über ihren Köpfen vorbeiziehen zu lassen, verharrten Lärm und Erschütterung mit ihnen. Noch immer konnte sie nicht erkennen, was es war, daß dort oben über den Baumkronen tobte. Es war schier unmöglich, den Blick hinauf zu wenden, ohne das ihr Splitter und Rinde in die Augen drangen.
Weiter rannten sie, schneller noch und dennoch ohne Hoffnung. Das Ende des Weges tat sich vor ihnen auf wie der Ausgang einer Höhle. Sie stolperten auf eine Lichtung, keine fünfzig Schritte im Durchmesser, an deren Südseite mehrere Hütten standen. Dahinter, tiefer im Wald, erkannte Kriemhild weitere Bauten, von denen einige die Baumstämme als Eckpfosten nutzten.
Jodokus stürzte zu Boden, mitten in kniehohes Gras, immer noch erwärmt vom vergangenen Sonnenschein des Tages. Über ihnen, am dunkelblauen Abendhimmel, stand eine feine, aber ungewöhnlich grelle Mondsichel. Kriemhild wollte den Sänger auf die Füße ziehen, doch er lag schwer wie ein Fels am Boden, völlig erschöpft.
Sie wirbelte herum und blickte zu den Wipfeln der Bäume empor, die sich zum Laubdach des Hohlwegs vereinten. Was immer sie erwartet hatte – sie wurde enttäuscht. Das Chaos hatte schlagartig aufgehört, nur ein sanfter Abendwind strich durch die Äste und Blätter, erfüllte die Lichtung mit gespenstischem Flüstern. Dort oben war nichts mehr, keine dämonischen Pferde mit brennenden Hufen, keine riesenhaften Walküren in göttlichem Rüstzeug. Nichts, das irgendwie ungewöhnlich war. Nur der Himmel, der Mond und ein paar schimmernde Sterne.
Kriemhild fiel auf die Knie, stützte sich mit beiden Händen auf und atmete keuchend ein und aus. Sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen, doch ihr Magen war leer. Nur ihr Mund wurde von einem sauren, widerwärtigen Geschmack ausgefüllt. Voller Abscheu spuckte sie ins Gras, aber der Geschmack blieb. Es wurde Zeit, daß sie etwas zu Essen bekam, keine Beeren, wie seit ihrer Flucht aus Worms, sondern etwas Vernünftiges, Fleisch vielleicht, zumindest ein wenig Gemüse.
Irgendwann, sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, hob sie den Kopf und sah Jodokus ins Gesicht. Er starrte unverwandt in die Höhe, mit großen, dunklen Augen, als stünden die Antworten auf alle seine Fragen am rabenschwarzen Himmel geschrieben.
Kriemhild kroch auf ihn zu und legte eine Hand auf seine Stirn. Sie erwartete, daß er fieberte, doch seine Haut war so kalt, daß sie erschrocken die Finger zurückzog. Seine Augen bewegten sich von rechts nach links und wieder zurück, doch als Kriemhild zögernd seinen Blicken folgte, sah sie über sich nichts als Leere.
»Was war das?« fragte sie leise. »Du weißt es doch, nicht wahr?«
Seine Lippen bebten. Es sah aus, als versuchte er zu sprechen, brachte aber keinen Ton heraus. Doch dann erklang seine Stimme, und sie war klar und hell und ohne jede Spur von Erschöpfung.
»Warum soll ich dir eine Antwort darauf geben«, sagte
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