Nibelungen 07 - Das Zauberband
Antana sie. Die Frau war schwer verwundet, wenn sie nicht bald behandelt würde, würde sie die Nacht nicht überleben.
Antana warf einen raschen Blick auf den Krieger. Auch er lebte noch, er schien lediglich in eine tiefe Ohnmacht gesunken zu sein. Die Heilerin beugte sich wieder über Mirka. Bei einem rituellen Blutopfer war es ungewöhnlich, Anwesende am Leben zu lassen. Irgend etwas Seltsames mußte hier geschehen sein.
Die Heilerin schnallte sich ihr Bündel vom Rücken. Vielleicht kann ich Mirka wenigstens soweit helfen, überlegte sie, daß ich sie auf dem Rücken des Pferdes bis zum Mondscheintempel im Garten der weißen Göttin bringen kann. Das heilige Wasser des Tempels würde Mirka gewiß helfen.
Außerdem vermochte die alte Ramee schwere Wunden zu heilen. Die Frauen sagten, Ramee beherrsche alte, mächtige Rituale, mit denen sie die Blutungen stillen und die Schmerzen lindern konnte. Antana glaubte fest an diese Erzählungen der Priesterinnen, denn die alte Ramee hatte sie selbst damals geheilt, als sie nach einem magischen Duell mit Pyros, der den Wasserfall in Flammen aufgehen ließ, dem Tode nahe war.
Ein leises Mauzen schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Im Eingang des Zeltes, den sie nicht wieder mit der Decke verschlossen hatte, stand ein kräftiger, rotbrauner Kater und schaute sie aus tiefbraunen Augen an.
Antana schaute auf und lächelte. »Wenigstens hat der Zauber gewirkt, mit dem ich dich finden kann«, sagte sie und nahm die blutigen Tücher von Mirkas Rücken.
Raban war immer weiter dem nördlichen Pfad gefolgt, der zu den steilen Klippen führte, ohne ein Zeichen von Inmee und der Wölfin zu finden, doch sein Herz sagte ihm, daß es dennoch der rechte Weg sei. Hinter den Klippen lag der gewaltige, dunkle Ozean. Eine plötzliche Sehnsucht nach der unendlichen Weite war in ihm erwacht, und so trieb er den Hengst an. Schon konnte er das Salz, das der kalte Wind vom Meer herüberwehte, auf seinen Lippen schmecken.
Wieder sah er Brunhilds Augen im Geist vor sich, sah ihr Lächeln, hörte die Wut und die Verzweiflung in ihrer Stimme, als er fortgeritten war. Er war machtlos gegen diese Bilder, sie schienen sich in seinem Kopf eingebrannt zu haben!
Bortino schnaubte unruhig. Raban schreckte aus seinen Gedanken auf und horchte. Ihm war plötzlich, als habe er eine hohe Frauenstimme singen gehört. Neugierig lauschte er. Die Stimme kam von den nahen Klippen. Das Schicksal war mit ihm. Nur eine schwarze Priesterin würde auf solche Weise singen.
Vorsichtig, um nicht in eine Falle zu geraten, lenkte er den Hengst ein wenig abseits des Pfades hinter einen großen Felsen und stieg ab. Nach einer Weile erreichte er den Felsenwall und kletterte langsam daran hinauf.
Der Gesang wurde lauter. Raban orientierte sich, aus welcher Richtung die Töne drangen, und stieg zwischen den großen Steinblöcken entlang, bis er plötzlich das vertraute rote Schimmern eines Kleides hinter einem Stein gewahrte. Rasch zog er den Kopf ein, um nicht entdeckt zu werden, und schlich noch ein wenig höher hinauf. Als er oberhalb in den Klippen ein sicheres Versteck zwischen zwei Steinquadern gefunden hatte, von dem er aus einen Teil der nahen Felsen überblicken konnte, ließ er sich dort nieder. Vorsichtig streckte er den Hals über den Rand und schaute zu Inmee hinunter.
Die Priesterin saß auf einem Felsen, sie blickte auf den düsteren Ozean hinaus und sang eine einfache Melodie. Der Wind spielte mit ihren rotgoldenen Locken und ließ die Enden des roten Gewandes leicht wehen, so daß ihre Schenkel zu sehen waren. Wieder erstaunte es Raban, wie schön diese Frau war. Der Klang ihrer Stimme war anders als bei der Beschwörung der Wölfin und im Zaubergarten der Gwenyar. Alles Finstere, Drohende schien mit einemmal in dieser Frau verstummt zu sein. Sie wirkte zart, fast wie ein junges Mädchen. Für einen besonderen Moment glaubte er, etwas wie Wehmut und tiefe Einsamkeit in ihrem Lied zu hören. Ihr Gesicht hatte alle Kälte verloren, nichts Grausames oder Dunkles konnte er entdecken. Plötzlich fiel es ihm schwer, zu glauben, daß es nur ein paar Stunden her sein mochte, daß dieses aufregende Weib, das dort unten saß, den Zaubergarten der Gwenyar vernichtet hatte.
Ein dunkles Knurren ertönte, und sofort hörte Inmee auf zu singen. Sie hob den Kopf. Zwischen den Felsen näherte sich die schwarze Wölfin und schritt geradewegs auf die Frau zu. Raban fühlte, wie sein Herz ein wenig schneller schlug.
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