Nibelungen 07 - Das Zauberband
ihrem Rücken lauerte, darauf, daß sie wieder fortlaufen würde.
Brunhild hielt sich die Hand an ihre Brust. Ihr Körper zitterte von der Anstrengung. Es mußte noch einen anderen Weg geben, diese Jagd zu beenden, aber um zu kämpfen, mußte sie wissen, wer ihr Gegner war. Langsam hob sie den Kopf und wandte sich mutig um. Diesmal sah sie es.
Brunhild hielt den Atem an. Unweit von ihr auf dem steinernen Boden lag ein großes, schwarzes Tier mit zotteligem Fell und blickte sie aus schrägen, bernsteinfarbenen Augen aufmerksam an. Als das Tier sich auch nach einer Weile nicht rührte, richtete Brunhild sich noch ein wenig weiter auf, um notfalls sofort auf die Füße springen zu können. Doch das Wesen schien sie nicht angreifen zu wollen, ja, es machte nicht einmal den Anschein, sie gejagt zu haben.
»Ich bin Loba, die Jägerin der schwarzen Göttin«, hörte Brunhild eine weiche Frauenstimme in ihrem Kopf sagen. »Ich bestimme die Regeln dieser Jagd! Ich werde dich jetzt nicht töten, aber sei darauf gefaßt, wenn ich will, werde ich dich jederzeit finden, wo immer du bist, ob du wachst oder schläfst, ob du mich erwartest oder mich fliehst. Du wirst, wenn ich es will, mein Geschenk an die schwarze Göttin sein! Ich bin die Jägerin der schwarzen Göttin, aber ich bin auch noch viel mehr. Sieh hin!«
Die schrägen gelben Augen schienen sich zu weiten, die schwarzen Pupillen vergrößerten sich. Plötzlich wurde Brunhild warm. Das Zittern ihrer Glieder ließ nach, alle Mühen schienen ein Ende zu haben. Ihr Atem ging merklich ruhiger, und sie hatte das Gefühl, ewig dort in diesen gelbschwarzen Augen versinken zu wollen. Es schien mit einem Mal alles so einfach zu sein!
»Wenn du dem Weg der Wölfin folgst«, sagte die Stimme, »ist die Jagd für immer vorüber. Du wirst zufrieden sein, glücklich, alles wird so sein, wie du es willst… Du mußt dich nur trauen, Kriegerin!«
Ein greller Blitz zuckte über den Himmel, gleich darauf krachte ein gewaltiger Donner nieder, daß die Erde zu beben schien.
Erschrocken fuhr Brunhild zusammen und schlug die Augen auf. Nirgends konnte sie die schwarze Wölfin sehen, der sie nur einen Herzschlag lang zuvor so nahe gewesen war. Dafür drang ein scharfer, wilder Geruch ihr in die Nase. Irritiert schaute sie sich um. Sie lag nicht in dem versteinerten Wald, durch den sie glaubte, gelaufen zu sein, sondern an dem kleinen Seerosenteich im Tempel der weißen Göttin. Der sonst hellerleuchtete Raum war finster und kalt geworden. Alle Fackeln, die gewöhnlich zu Ehren der Göttin brannten, waren erloschen. Der kleine Seerosenteich war blutig, und die Fische darin waren verendet. Alles bis auf das heilige Wasser war zu Stein erstarrt. Selbst die roten Samtkissen, auf denen jeden Morgen und Abend die Priesterinnen saßen, wenn sie beteten, sahen wie graue, kleine Felsen aus.
Brunhild lauschte. Doch alles war still. Die Stimme der Wölfin war verstummt. Sie stand auf und reckte sich ein wenig. Ihre Glieder fühlten sich klamm und steif an in den nassen Kleidern. Die Hoffnung, in der Höhle, in der sie mit Arma gelebt hatte, ein trockenes Gewand zu finden, hatte sie mittlerweile aufgegeben. Wenn diese Verwandlung, die überall im Garten geschehen war, selbst vor dem Tempel der Göttin nicht haltmachte, dann gewiß nicht vor ein paar einfachen Stoffen in einer Holztruhe.
Gedankenverloren strich sie sich das feuchte Leinenhemd unterhalb ihrer Taille wieder glatt, als ihre Hand etwas Weiches berührte. Sie hielt inne und zupfte das schwarze Fellbüschel von ihrem Gürtel. Es war kein Traum gewesen. Der fremde, durchdringende Geruch, der den Tempel erfüllte, war derselbe, der von diesen Haaren ausging, nur viel stärker. Die Wölfin mußte wirklich hier gewesen sein.
Aufmerksam drehte sie das Fellchen in ihren Händen und betrachtete es genauer. Einem Wolf war sie bisher nicht begegnet, deshalb hatte sie die Haare nicht gleich erkannt. Es gab keine Wölfe in den Wäldern ringsum. Nur die alte Ramee hatte hin und wieder Geschichten von diesen gefährlichen Tieren erzählt, aber diese Geschichten spielten in längst vergangenen Zeiten.
Raban schien gewußt zu haben, daß es der Jägerin der schwarzen Göttin gehörte. Sie fragte sich, warum er ihr nichts davon erzählt hatte.
Draußen zuckte ein heller Lichtblitz durch die Dunkelheit. Brunhild sah es durch das geöffnete Tempeltor und hielt den Atem an. Gleich darauf schlug ein gewaltiger Donner auf das Haus der Göttin ein, als
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