Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
getrennt hatten, waren ihnen keine fränkischen Verfolger mehr aufgefallen. Sie bewe g ten sich weitab aller Siedlungen durch die Berge. Hier schien der Winter näher als in der Ebene des großen Flusses. Das Laub vieler Bäume schimmerte schon in Rot und Gold, ganz wie ihre Kettenhemden, die nach dem Regen der letzten Tage von Rost überzogen waren. Sie hatten am Ende eines langen Windbruchs ihr Lager unter ein paar umgestürzten Bäumen aufgeschlagen, die eine natürliche Höhle bildeten. Die Gefährten wollten den Morgen noch hier bleiben, um sich von den Strapazen der let z ten Tage zu erholen. Der Marsch durch die Berge hatte sehr an ihren Kräften gezehrt. Kettenhemd, Helm, Schild und Schwert allein waren schon schwer genug, dazu kamen noch die schw e ren Packtaschen der Pferde und der Proviant. Abends, wenn Volker diese Last ablegte und sie in ein feuchtes Versteck g e krochen waren, hatte er sich leicht wie ein Vogel gefühlt. Wenn sie von ein paar Waldläufern aufgespürt würden, wäre jeder Fluchtversuch sinnlos. Ein Greis könnte schneller laufen als sie unter der Last von Rüstung und Gepäck.
Aber warum solch trüben Gedanken nachhängen? So, wie die Dinge standen, hatten sie es geschafft. Ihre Spur war verwischt, und für Ricchar waren sie irgendwo in den Bergen verschwu n den.
Der Spielmann blickte zu Golo herüber. Der junge Ritter hoc k te vor einer länglichen Feuergrube und drehte, leise vor sich hinsummend, vier prächtige fette Waldhühner, die er auf einen hölzernen Spieß geschoben hatte. Neben ihm in der Glut sta n den zwei kleine eiserne Töpfchen, in denen eine Sauce aus wi l den Brombeeren und eine Suppe aus Wurzeln und Wildzwi e beln köchelten. Hinter dem Feuer kauerte Mechthild und ze r schnitt auf einem flachen Stein einige Kräuter, die sie gesa m melt hatte. Volker leckte sich die Lippen. Das Mahl zum Wei h nachtsfest an der Tafel König Gunther s war nicht verlockender gewesen als die Köstlichkeiten, die Golo dort zubereitete. Es war gut, mit ihm zu reisen, dachte Volker schmunzelnd. Er selbst hätte bestenfalls ein paar halbverbrannte Vögel zustande gebracht. Kochen war nie seine Sache gewesen.
Mechthild stand kurz auf und wendete mit einem langen Stock zwei Brotfladen, die in der Glut der Feuergrube lagen. Sie warf Golo einen kurzen Blick zu und machte sich dann wieder daran, ihre Kräuter zu zerkleinern. Ob sie in Golo so etwas wie einen großen Bruder sah? Ihr Verhältnis zu dem jungen Ritter hatte sich in den letzten Tagen drastisch geändert. Golo war so verrückt, ihr das Schwertkämpfen beizubringen … Einem kle i nen Mädchen, das kaum die Kraft hatte, ein Schwert zu halten! Täglich übten sie mit zwei Holzstöcken, die sie mit Kaninche n fell gepolstert hatten. Was für ein Unsinn! Volker wurde nicht schlau aus Mechthild. Ihm gegenüber verhielt sie sich kühler und zurückhaltender als früher. Selbst mit Golo, dem sie offe n bar vertraute, sprach sie kaum. Wenn sie an einem Tag zehn Worte über die Lippen brachte, dann war das viel. Auch läche l te oder lachte sie nie. Und doch schien es etwas zu geben, das sie mit Golo in einer Art und Weise verband, daß Volker sich als Störenfried fühlte, wenn er mit den beiden allein war.
Es würde noch mindestens eine halbe Stunde dauern, bis die Waldhühner gar waren. Zeit genug, um noch etwas den Berg hinaufzuwandern und die beiden allein zu lassen. Auch Belli e sa war irgendwo weiter oben am Berg. Sie war schon vor über einer Stunde gegangen, angeblich um noch Beeren für ihr Mahl zu suchen.
Volker stieg über die umgestürzten Bäume hinweg und e r klomm den steilen Abhang hinter ihrem Lager. Er erreichte e i nen Hain aus hohen, dunklen Tannen und schlenderte ziellos zwischen den Bäumen umher. Düster brütete er darüber, ob er wohl jemals den Feuervogel finden würde. Er war sich sicher, daß Belliesa etwas über den verwunschenen Vogel wußte. Vo l ker dachte an ihr Amulett mit den beiden flammend roten F e dern. Sie hatte es geschafft, dem Feuervogel zu begegnen! W a rum die Bardin wohl nach ihm gesucht hatte? In all den Tagen, die sie nun schon gemeinsam reisten, war es ihm nicht g e glückt, ihr dieses Geheimnis zu entlocken . Obwohl er sich alle Mühe gab, widerstand sie seinem Charme, auch wenn ihr seine Komplimente offenbar nicht unangenehm waren. Selten hatte er eine Frau getroffen, die so unnahbar schien wie Belliesa, doch gerade das reizte ihn! Gestern abend hatte er in Gedanken ein Gedicht über ihre
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