Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
Schönheit begonnen …
Ärgerlich trat Volker gegen einen morschen Ast, der halb aus dem Boden ragte. Er sollte sie einfach ignorieren! Sie könnte ihn von seinem Weg abbringen! Ob auch sie eine Prüfung war, g e nauso wie die Begegnung mit Ricchar? Was würde geschehen, wenn er sich von ihrem Zauber gefangennehmen ließ? Würde ihm noch einmal der Feuervogel erscheinen, um ihn auf seinen Weg zurückzuführen und …
Er hielt inne. Irgendwo hinter den Bäumen erklang eine kri s tallklare Stimme, die ein Lied in einer ihm unbekannten Spr a che sang. Mit solcher Eindringlichkeit ertönte die fremde Sti m me, daß es ihm schien, daß alle Laute des Waldes verstummten. Halb erschrocken blickte er sich suchend um. Ein Stück vor ihm wurde der Boden felsiger, und dünner Nebel sickerte zwischen den schwarzen Tannenstämmen hindurch. Dort irgendwo mußte sich die Sängerin verbergen. Mit aller Vorsicht darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen, das die Stimme vie l leicht verstummen lassen mochte, schlich er näher. Seine Haut kribbelte vor Erregung über das, was er hörte, und sein Herz begann schneller zu schlagen. Er ahnte, wem die Unbekannte ihr Lied sang. Sie schenkte es dem Bergland, der wilden Natur, die sich mit diesem goldenen Herbsttag vom Sommer vera b schiedete. Der Gesang kam aus ihrem Herzen, die Musik aus dem Innersten ihrer Seele, und sie entließ ihn in die Luft wie einen Schwarm schillernder Vögel. Auch wenn diese Stimme ihm fremd und unirdisch erschien, wußte er, wer dort sang …
Der Nebel wurde dichter, und Volker erreichte ein kleines Felssims, das sich steil über die Bergflanke hinausreckte. Eine warme Quelle brach zwischen den Felsen hervor, und die Steinmetze eines längst vergessenen Volkes hatten ein Becken in den weichen Sandstein geschlagen, in dem sich das Wasser sammelte. Es war nicht sehr groß. Vielleicht zwei Schritt lang und anderthalb breit. Es war aber tief genug, um darin im Si t zen ein Bad zu nehmen. Der Wind, der vom Tal heraufkam, drückte den Dunst, der von dem heißen Wasser aufstieg, gegen die Steilwand und trieb ihn in den Tannenwald, der die verbo r gene Quelle vor neugierigen Blicken schützte. Aus der Fel s wand neben dem Becken war ein kleiner Schrein herausg e schlagen, der drei sitzende Frauenfiguren zeigte.
Volker verharrte wie gebannt am Ende des Tannenhains, bis ein Windstoß den Dunst über dem Becken zerriß. Jetzt erst sah er die ordentlich gefalteten Kleider neben dem Schrein. Eine weiße Tunika, Beinlinge, ein rotes Ledermieder …
Ganz am Ende der Klippe stand Belliesa in ihren langen schwarzen Umhang gehüllt. Sie blickte auf das Tal hinab und sang. Volker mußte an die Geschichten denken, die antike Dic h ter von den Sirenen erzählten. Von wunderschönen Frauen, deren Gesang kein Mann zu widerstehen vermochte und die doch jeden, der sich mit ihnen einließ, ins Unglück stürzten. Der Wind spielte mit dem langen roten Haar der Bardin. Der Spielmann stand wie versteinert. Ob sie wußte, daß er ihr lauschte? Wenn ja, dann verriet sie es nicht durch die kleinste Geste.
Gerne wäre er näher zu ihr getreten, doch so, als stünde er u n ter einem Zauberbann, vermochte er sich nicht von der Stelle zu bewegen, ja er wagte kaum zu atmen. Die Melodie änderte sich jetzt. Die Stimme der Sängerin wurde melancholisch, und auch wenn er kein Wort von diesem fremden Lied verstand, verspü r te der Spielmann einen süßen Schmerz in seiner Brust.
Plötzlich beendete Belliesa ihren Gesang und drehte sich zu ihm um. Einen Moment lang schien sie überrascht. Dann wies sie ins Tal hinab. »Sie haben uns doch noch aufgespürt! Ich hä t te nicht gedacht, daß sie sich hierher wagen … Dort unten kommen Krieger ins Tal.«
Der Bann war gebrochen. Volker trat auf die Klippe und blic k te über die bewaldeten Berghänge. Dann sah auch er, was Be l liesa alarmiert hatte. Zwischen den Bäumen, noch etwas mehr als eine halbe Meile vom Windbruch entfernt, funkelte Sonne n licht auf poliertem Metall. Wer auch immer dort anrückte, b e wegte sich geradewegs auf ihr Lager zu.
»Kennst du ein sicheres Versteck?«
Die Bardin schüttelte langsam den Kopf. »Das hängt davon ab, wer dort kommt. Wenn sie Hunde dabei haben, werden sie uns auf jeden Fall finden.«
»Ich laufe zu den anderen. Komme nach und hole Mechthild. Ich werde mit Golo versuchen, die Bewaffneten aufzuhalten … Dann werdet wenigstens ihr beide entkommen.«
»Aber du … «
Volker wandte sich um und lief
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