Nibelungen 09 - Der Zwergenkrieg
um und erwartete, eine ganze Horde von Nordlingen zu sehen, die nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt waren.
Doch der Einschnitt zwischen den Trümmern, durch den sie und Bollis gekommen waren, blieb leer. Niemand verfolgte sie.
»Vielleicht beobachten sie uns«, meinte Bollis verwundert. »Sicher warten sie ab, wohin wir gehen.«
Grimma nickte und kämpfte gegen ihre Erleichterung an. Erleichterung war ein nutzloses Gefühl. Es half niemandem, schwächte nur die Aufmerksamkeit. Und möglicherweise war es gerade das, was die Nordlinge wollten.
»Laß uns hineingehen«, sagte sie und deutete mit der Axt auf den Spalt, der ins Innere des Turmes führte. »Vielleicht können wir an einem der Fenster ein Feuer entzünden, um die anderen zu warnen.«
»Feuer entzünden?« fragte Bollis, ohne seinen wachsamen Blick von der Umgebung des Turmes zu nehmen. »Womit denn?«
Grimma zeigte auf den Beutel an ihrem Gürtel. »Alles dabei.«
Zum ersten Mal löste sich die Anspannung auf Bollis’ Gesicht. »Das, was ich vorhin sagen wollte, tut mir leid.«
»Du hast es ja nicht gesagt.«
»Ich bitte dich trotzdem um Verzeihung.«
Grimma schenkte ihm ein Lächeln. »Ich werde dich dafür zum Zweikampf fordern, wenn wir wieder daheim im Hohlen Berg sind.«
»Klingt gut.« Und auch Bollis verzog die Mundwinkel.
Nach einem letzten Blick in die Schatten der Ruinen und Felsen drückten sie sich durch den Eingangsspalt ins Innere. Drinnen war es noch dunkler als im Freien, der winzige Himmelsausschnitt hoch über ihnen hatte sich nahezu schwarz gefärbt.
Grimma schaute sich angestrengt um. »Siehst du hier irgend etwas Brennbares?«
Bollis scharrte mit seinem Stiefel im Geröll. »Nichts«, meinte er enttäuscht.
Nach kurzem Zögern streifte Grimma ihren Überwurf ab und zog die Weste aus, die sie darunter trug. Sie wickelte sie um die Doppelschneide ihrer Axt, warf sich das Fell wieder um die Schultern und stapfte mit der Waffe in der Hand die Halde hinauf zur Treppe. »Paß du hier unten auf«, wies sie Bollis an. »Es gibt nur den einen Eingang. Wenn sie kommen, müssen sie an dir vorbei. Egal, was geschieht, du mußt sie aufhalten, bis ich das Feuer am Fenster entzündet habe.«
Bollis bezog Stellung vor dem Spalt und starrte hinaus in die Finsternis. Die Nacht hatte sich endgültig auf das Nordland herabgesenkt. Er würde die Gegner erst sehen können, wenn sie direkt vor ihm standen.
Grimma wünschte ihm im stillen viel Glück, dann lief sie die steinerne Treppe hinauf. Erst am oberen Fenster machte sie halt, zog zwei Feuersteine aus ihrem Bündel und schlug sie so lange gegeneinander, bis ihre Hände schmerzten und die ersten Funken auf den Stoff der Weste übersprangen. Sie schirmte die winzige Flamme gegen den Durchzug im Turm ab, trotzdem erlosch sie schon nach wenigen Augenblicken. Grimma blickte verzweifelt nach unten. Bollis war immer noch auf seinem Posten. Keine Anzeichen für einen Angriff. Sie versuchte es erneut, und diesmal brannte die Flamme heiß genug; der Luftzug konnte ihr nichts mehr anhaben. Bald schon loderte der Stoff der Weste lichterloh. Grimma beugte sich aus dem Fenster und schwenkte die brennende Axt wie eine Fackel hin und her. Die Zwerge in der Arena würden Wächter aufgestellt haben. In der Dunkelheit mußten sie das Feuer unterhalb der Turmspitze auf jeden Fall bemerken. Hoffentlich würden sie die richtigen Schlüsse ziehen.
»Wie sieht es unten aus?« rief sie über die Schulter ins Innere des Turms.
»Keine Spur von ihnen«, klang es gedämpft zurück.
Grimma fragte sich, ob irgendwo in der Nacht gerade eine Pfeilspitze auf sie gerichtet wurde. Mit der lodernden Axt in der Hand gab sie ein Ziel ab, das nicht einmal ein Kind verfehlen konnte. Der Gedanke beunruhigte sie zutiefst, und das Eingeständnis ihrer Hilflosigkeit machte alles nur noch schlimmer. Trotzdem winkte sie weiter. Schon lösten sich die ersten brennenden Fetzen der Weste von der Axtschneide und verschwanden mit sanftem Schaukeln in der Tiefe. Grimma blickte ihnen gedankenverloren nach, bis sie am Boden erloschen.
Die Arena war in der Dunkelheit nur als formloser schwarzer Umriß auszumachen, der sich schwach vom dunkelgrauen Nachthimmel abhob. Regte sich auf ihrem Rand etwas, oder war das nur eine Täuschung? Grimma blickte angestrengt hinüber, bis ihre Augen tränten. Sie war jetzt ziemlich sicher, daß sich in der Finsternis etwas bewegte.
Plötzlich glomm über dem Rand der Arenamauer ein Funke auf,
Weitere Kostenlose Bücher