Nibelungengold 04 - Die Hexenkönigin
verzweifelt. Sie hätten jeden dafür gehalten, der gerade vorbeikam. Es war Pech, das es ausgerechnet mich getroffen hat. Mein Pferd war schwarz, und offenbar hat ihnen das gereicht. Die Seuche hat sie soweit getrieben, vielleicht auch ihre Beschränktheit. Doch was immer sie getan haben, sie haben es nicht verdient, diesen Söldnern in die Hände zu fallen.«
Kriemhild hockte sich auf den kühlen Waldboden nieder und zog die Knie an den Oberkörper.
Allmählich wurde ihr bewußt, was sie getan hatte. Und ebenso deutlich begriff sie, daß es zu spät war, um noch irgend etwas daran zu ändern. »Es tut mir leid«, flüsterte sie, nicht zu Jodokus, sondern nur zu sich selbst.
»So einfach ist das, nicht wahr?« fuhr er sie verächtlich an und äffte ihren Tonfall nach: »Es tut mir leid … Pah, Fine, oder wie auch immer du wirklich heißen magst, in Wahrheit ist es dir doch vollkommen gleichgültig. Vielleicht nicht jetzt, nicht in diesem Augenblick. Aber laß einen halben Tag vergehen, und du wirst keinen Gedanken mehr an diese armen Geschöpfe verschwenden. Sie stehen ja so weit unter dir, nicht wahr?«
Ihr Blick raste hoch. »Wie meinst du das?« rief sie.
»Das weißt du ganz genau, edles Fräulein. Es sind nur Bauern, nur Fußvolk, nur Hungerleider. Niemand von deinem Stand. Keiner, der es wert wäre, einen Finger für sie zu rühren.«
»Du glaubst tatsächlich, ich habe das getan, weil es arme Schlucker und keine Edelleute waren?« Sie sprang auf und stemmte die Hände in die Hüften. »Das glaubst du wirklich?« Sie wollte ihn anschreien so laut sie nur konnte: Ist dir klar, daß ich mein Leben für dieses Volk aufs Spiel setze? Daß ich mich für dich und jeden anderen in diesem gottverfluchten Land opfern werde? Aber natürlich sagte sie nichts von all dem; es war unter ihrer Würde.
Würde! Du liebe Güte …
Plötzlich drehte er sich um und machte sich mit schnellen Schritten auf den Rückweg zum Lagerplatz.
»Komm«, sagte er leise, »laß uns aufhören. Wir können ohnehin nichts mehr daran ändern.«
Sie lief hinter ihm her, aufgewühlt wie selten zuvor. »Wir haben doch Pferde. Wir könnten vor den Söldnern im Dorf sein und –«
»Und uns umbringen lassen? Glaubst du wirklich, man würde uns auch nur ein Wort glauben? Die Dorfbewohner würden nur zu Ende bringen, was sie begonnen haben. Und die Söldner würden sie trotzdem töten.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Was jetzt geschieht, liegt nicht mehr in unserer Hand.«
Kriemhild senkte schweigend den Kopf, bis sie ihre Feuerstelle und die Pferde erreichten. Wortlos wischte sie sich die Ascheflecken von der Haut, legte dann die beiden Decken auf die Rücken der Tiere und sattelte sie von neuem.
Jodokus sah ihr eine Weile lang zu, dann nickte er nachdenklich. »Ich schätze, ich kann auch nicht mehr schlafen. Wir können ebensogut weiterreiten.«
Das überraschte sie, nachdem er doch gehört haben mußte, was am Ziel ihrer Reise lag. »Willst du immer noch mitkommen?«
»Zu Salomes Zopf? Warum nicht?«
»Du hast keine Angst?«
»Ich habe dir doch gesagt, daß ich keine Angst vorm Tod –«
»Ja«, unterbrach sie ihn scharf, »das hast du.« Sie machte eine kurze Pause, während sie die Riemen der Pferde festzurrte. Dann drehte sie sich mit einem Ruck zu ihm um. »Wirst du mir verraten, womit du die Götter gegen dich aufgebracht hast?«
Er raffte ihre Sachen am Boden zusammen. »Laß uns erst aufbrechen«, sagte er, ohne sie anzusehen. Einen Moment lang hatte Kriemhild den Eindruck, der Buckel an seiner Schulter habe sich unmerklich nach rechts verschoben.
»Ich erzähle dir alles, wenn wir unterwegs sind«, flüsterte er tonlos.
Kapitel 3
Das schwarze Roß schnaubte voller Ungeduld, als sein Reiter die Zügel straffer zog. Der lange dunkle Mantel des Mannes schlug Wellen, während das Tier unter ihm protestierend mit den Hufen scharrte. Es war ebenso unduldsam wie sein Reiter, wenn auch aus eigenen, den Menschen unverständlichen Gründen; der Mann hatte kein Verlangen, sie zu durchschauen. Er zeigte Nachsicht mit jeder Art von Geheimnis. Oft hatte er das Gefühl, er selbst lebe nur für seine eigenen dunklen Mysterien.
Roß und Reiter standen im Dickicht nahe der Furt und blickten aus schwarzglänzenden Augen zum Dorf hinüber. Die riedgedeckten Dächer der Hütten standen in Flammen, finstere Qualmfahnen stiegen zum Himmel empor und verfinsterten Mond und Sterne. Im Osten dämmerte der Tag herauf, doch
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