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Nibelungengold 04 - Die Hexenkönigin

Nibelungengold 04 - Die Hexenkönigin

Titel: Nibelungengold 04 - Die Hexenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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hatte nie einer Menschenseele davon erzählt, und wenn es nach ihr ging, sollte auch in Zukunft niemand davon erfahren. Sie folgte nur ihrem Instinkt, nicht dem Verstand, aber etwas sagte ihr, daß sie das Richtige tat. Und das einzig Mögliche.
    Es war am frühen Nachmittag, als sie aus der Ferne am Wegrand ein Anwesen entdeckte. Im Näherkommen erkannte sie, daß es ein Gasthaus war, mit einem Pferdestall als Anbau. Ein wettergegerbtes Holzschild schaukelte knirschend im warmen Sommerwind. Tür und Fenster waren geschlossen, weit und breit war kein Mensch zu sehen. Ein zäher, süßlicher Geruch lag in der Luft, ein wenig wie von gekochten Rüben.
     
    Erst als sie auf einer Höhe mit dem Haus war, sah sie den schwarzen Stoffetzen, der am Knauf des Eingangs angebracht war. Das Zeichen, daß in diesen Mauern die Pest umging.
    Kriemhild stieg nicht vom Pferd und lenkte Lavendel auf die andere Straßenseite.
    »Ist da wer?« rief sie so laut sie konnte zum Gasthaus hinüber.
    Nichts regte sich.
    »He da!« versuchte sie es noch einmal. »Eine Reisende erbittet Auskunft!«
    Die Antwort war Schweigen. Nur das Schild über der Tür knarrte leise, als eine neuerliche Brise es schräg stellte.
    Kriemhild war drauf und dran, den Schimmel weiterzutreiben, doch ihre Neugier überwog. Wie konnte sie etwas besiegen, das ihr nie von Angesicht zu Angesicht begegnet war?
    Sie sprang aus dem Sattel und band Lavendel an einen Baum. Dann überquerte sie die verlassene Straße und näherte sich zögernd dem Gasthaus. Der Rübengeruch wurde stärker. Noch einmal blieb sie stehen, zweifelte an ihrem Tun. Dann trat sie entschlossen an ein Butzenfenster rechts der Tür und preßte das Gesicht ans Glas. Im Inneren herrschte düsteres Zwielicht. Sie konnte nur zwei oder drei Schritte weit sehen, bis zu den vorderen der langgestreckten Tische. Darauf lag etwas, reglos und still.
    Kriemhild zuckte zurück. Der Geruch schien ihr schlagartig durch jede Pore zu dringen, verklebte ihren Mund, ihre Augen, ihre Nase. Einen Augenblick lang hatte sie das Gefühl, sie würde nie wieder atmen können.
    Es waren Kinder. Die Leichen von Jungen und Mädchen, mindestens ein halbes Dutzend allein auf den vorderen Tischen. Die Menschen aus den umliegenden Wäldern, Holzfäller, Köhler und Wilddiebe, mußten ihre Kinder hierhergebracht haben, vielleicht, weil sie geglaubt hatten, sie seien hier sicherer als draußen im einsamen Tann. Vielleicht hatten sie gehofft, hier würden die Kleinen alle Hilfe bekommen, die sie nötig hatten.
    Jetzt aber lebte hier niemand mehr. Irgendwer mußte die Körper auf den Tischen aufgebahrt haben. Wahrscheinlich war er selbst längst tot.
    Kriemhild warf sich herum, löste Lavendel vom Baumstamm und zog sich hinauf in den Sattel. In rasendem Galopp sprengte das Tier mit ihr von dannen, schnell, immer schneller. Es war, als würde der Geruch ihr folgen, eine giftige Wolke Verwesungsgestank, der sie über die Heerstraße jagte wie ein hungriges Ungetüm. Kriemhild fürchtete, jetzt, wo ihr der Gestank einmal bewußt geworden war, würde er sie nie wieder loslassen. War es möglich, daß bereits das ganze Land so roch, und sie es nur nicht bemerkt hatte?
    Unermüdlich trug Lavendel sie weiter, die Hügel hinauf und hinunter, bis es ihr vorkam, als läge das halbe Burgundenreich zwischen ihr und dem Gasthaus der toten Kinder. Schließlich riß sie an den Zügeln des Schimmels und übergab sich aufs Pflaster, brach Beeren und Galle hervor und hoffte, der entsetzliche Gestank des Todes würde mit ihrem Mageninhalt zu Boden prasseln.
    Doch der Geruch blieb, ganz wie sie befürchtet hatte. Er durchzog die Wälder, füllte die Täler und umwogte die Bergspitzen wie Wolkenringe. An manchen Stellen wurde er schwächer, doch niemals verschwand es gänzlich. Kriemhild hatte das Gefühl, als hätte der Geruch sich in ihrer Kleidung verfangen, doch es war die einzige, die sie hatte. Sie verfluchte sich für ihr Ungeschick, nichts zum wechseln eingepackt zu haben.
    Gegen Abend, die Sonne stand tief hinter den Tannenspitzen, kam sie an ein Ufer. Sie versuchte, sich die Karten in Erinnerung zu rufen, doch die meisten waren ungenau und Kriemhild hatte sie nie so eingehend studiert, wie ihre Lehrer es von ihr verlangt hatten. Mochte sein, daß dies schon der Fluß Tauber war, eher aber wohl eines der schmaleren Gewässer, die diese Gegend von Süden nach Norden durchzogen. Die Strömung schien nicht allzu stark, und das gegenüberliegende Ufer

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