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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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anderen sterben, dachte Jan, während sich der warme rote Fleck langsam auf seinem Hemd ausbreitete, um von dort aus in den weichen Sessel zu sickern, den Sessel, aus dem er nun nie mehr aufstehen würde. An sich selbst denkt man dabei nie. Edith. Er hatte gedacht, dass Edith sterben würde und er selbst noch viel Zeit hatte, zu viel, um sie genauer ins Auge zu fassen. Warum war das so? Weil er noch jung war und dachte, darum sei er auf magische Weise vor Schusswaffen geschützt?
    Es tat nicht weh.
    Er lauschte den davoneilenden Schritten, hörte zu seiner eigenen Überraschung ihr Knirschen auf dem Kies, als habe etwas seine Sinne geschärft. Dann war da Stille. Es war eine Stille, die sich ausdehnte und immer lauter wurde. Bald würde aus ihr etwas emporsteigen, das wusste er.
    Seine rechte Hand tastete, aber da war kein Stock wie der, mit dem er als kleiner Junge dem Drachen entgegengetreten war. Da war nur der Sessel, der klebrig war von seinem Blut. Er hätte so gern einen Stock gehabt, um nicht allein und schutzlos im Dunkeln zu sein.
    Dann zerriss die Stille, und alles wurde schwarz.
    *
    Es war alles schiefgegangen. Alles.
    Selbst die Tabletten waren nicht mehr im Badezimmer, nur noch Kopfschmerztabletten und anderer Quatsch, aber nicht das, was er brauchte.
    Sven räumte das Fach leer, warf achtlos alle Schachteln auf den Boden und fluchte. Dann trat er ins Schlafzimmer und zögerte kurz, ehe er an das Nachtschränkchen seiner Mutter ging.
    Er musste sich beeilen, ehe die Bullen kamen. Der Typ auf dem Sessel war erledigt, aber es würden bestimmt noch mehr kommen, und bis dahin musste er weg sein. Er hatte keinen Bock auf Gefängnis, schon wegen Lara.
    Konnte man überhaupt ins Gefängnis kommen für etwas, das so schnell und so leicht ging? Normalerweise war alles, was verboten war, echt anstrengend. Für Kiffe musste man nach Holland fahren, mit Grenze und so. Und wenn man in den Fun-Park wollte, musste man erst den Ausweis fälschen, damit die Gorillas von Türstehern einen reinließen. Und falls man dann doch erwischt wurde, passierte auch nix Schlimmes außer Herumgequatsche und Wichtigtun, keine wirkliche Strafe. Und gefälschte Ausweise und Kiffe waren dabei viel schwieriger zu beschaffen als ein Fahrradschloss oder eine blöde Knarre, die irgendein Idiot auf einen Sessel legte in einem Wohnzimmer, das nicht mal seines war.
    War da ein Geräusch gewesen? Sven horchte, dann suchte er weiter.
    Er musste die Tabletten finden, damit Lara schlief. Nur wenn sie schlief, würde sie bei ihm bleiben. Sonst würde sie früher oder später über das mit dem Buch nachdenken. Das Buch bewies nämlich gar nichts, und wäre Lara nicht so durcheinander und verunsichert gewesen und hätten sie sich vorher nicht so genau vorgenommen, jede mögliche Verbindung zwischen ihren Eltern aufzudecken, dann wäre sie niemals darauf reingefallen. Es war ein Kinderspiel gewesen, das Buch gestern ins Regal zu stellen, als Lara auf dem Klo war. Sie war auf dieses vermeintliche Beweisstück angesprungen, weil sie nach genau so etwas gesucht hatte, aber irgendwann würde sie nachdenken und ihren Vater zur Rede stellen. So machte man das in Laras Familie, da sprach man über alles, auch über das Unangenehme. Und wenn sie mit ihrem Vater reden wollte, hieße das, sie würde weggehen, so wie seine Mutter weggegangen war.
    Am Morgen, nachdem seine Mutter verschwunden war, hatte sich in seinem Kopf alles gedreht. Er hatte zu viel gekifft in der Nacht und ganz diese Mathearbeit vergessen, dabei war die doch superwichtig. Er hatte mit Lara dafür gelernt, und er hatte ihr einen Rieseneisbecher versprochen, falls er eine Drei schaffte. Sie hatte gelacht, als er das gesagt hatte, und das hieß ja wohl, dass sie einverstanden war und dass sie mitkommen würde ins Eiscafé.
    Normalerweise pennte er immer ein, wenn er zu viel gekifft hatte, aber das durfte er nicht, darum hatte er ein paar Nasen Pep gezogen, nur für die Mathearbeit. Das war ja ein Notfall, quasi. Weil jetzt, da seine Mutter weg war, Mathe natürlich noch wichtiger war als vorher, wegen Lara. Für seinen Kreislauf war das aber alles echt zu viel gewesen.
    Die Mathearbeit hatte er gerade noch geschafft. Nach der Pause war Sport, das konnte er ausfallen lassen. In seiner Raucherecke hinter dem Fahrradschuppen hatte ihn dann das große Zittern überkommen, und er hatte sich auf den Boden legen müssen, um nicht umzufallen. Und genau in dem Moment war Laras Mutter vorbeigekommen,

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