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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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Menschen, die brauchen Waffen zu ihrem eigenen Schutz oder zum Schutz anderer«, hatte er gesagt und gewünscht, der distanziert-amüsierte Ausdruck würde endlich aus ihrem Gesicht verschwinden. »Während du auf deinen Tingelbühnen das bekämpfst, was du für das Patriarchat hältst, üben andere Menschen in der wirklichen Welt wirkliche Gewalt aus, und um sie daran zu hindern, helfen weder Gedichte noch Theater, sondern …«
    Es war vergeblich gewesen.
    Natürlich war es das.
    Man konnte mit seiner Mutter nicht diskutieren, solange sie ihre überlegene Pose nicht aufgab, und die würde sie niemals aufgeben.
    Wahrscheinlich hatte dieser ganze Mist ihn infiltriert, so dass er unbewusst seine eigene Waffe nicht ernst nahm, was dazu geführt hatte, dass er sie an einen kriminellen Teenager verloren hatte und sich nun von ihm bedrohen ließ.
    Unbewusst, dachte Jan. Das war genau so eine Vokabel, die er eigentlich aus seinem Wortschatz verbannt hatte, sie klang verdammt nach seiner Mutter, bei der ein Mensch nie einfach das tat, was er tat, nein, er tat es unbewusst aus schauerlichen Beweggründen.
    Er bewegte sich, schlug das rechte Bein über das linke, und prompt fuchtelte der Junge mit der Waffe herum.
    »Keine Bewegung.«
    Das wäre eigentlich mein Satz gewesen, dachte Jan.
    Der Junge betrachtete ihn misstrauisch, schien zu überlegen, was er als Nächstes tun sollte. Oder wartete er auf etwas? Oder auf jemanden?
    »Was soll das hier eigentlich werden, Sven?«, fragte Jan. Er achtete darauf, seine Stimme so ironiefrei wie möglich zu halten.
    »Gar nichts wird das.«
    »Wir können schließlich nicht ewig hier sitzen bleiben. Irgendwann wird dein Vater nach Hause kommen.«
    »Ich habe keinen Vater«, sagte der Junge und spuckte auf den Boden. Es war eine beinahe rührende Geste, wie aus einem Western.
    »Okay«, sagte Jan. Dann sagte er gar nichts mehr, er warf nur von Zeit zu Zeit einen ungläubigen Blick auf das besudelte Parkett.
    »Mein Vater ist ein Arschloch«, sagte der Junge nach einer Weile. Offenbar wurde ihm das Schweigen zu lang. »Totales Arschloch, echt. Und zu mir ist er immer so … so …« Er brach ab. »Und meine Mutter ist tot. Ist vielleicht auch besser so. Die waren völlig daneben, alle beide.«
    Der Junge blinzelte und zog die Nase hoch. Seine Augen blieben trocken, und er schien darüber so erleichtert, dass er sich sichtbar entspannte.
    »Okay. Deine Eltern sind dir also egal. Trotzdem wird früher oder später die Polizei kommen. Du bedrohst einen Polizisten mit einer Waffe, das ist strafbar, das weißt du schon, oder?«
    »Bin doch nicht bescheuert«, sagte der Junge und zog noch einmal die Nase hoch.
    »Und warum sitzen wir dann hier?«
    »Was fragen Sie mich denn! Sie sind doch einfach hier rein und haben mich gestört, sonst wäre ich schon längst wieder verschwunden.«
    »Dann schlage ich vor, du nimmst jetzt die Waffe weg und wir gehen beide dahin, wo du hinwolltest.«
    Der Junge lachte hell auf. »Sie halten mich wohl für blöd! Ich weiß genau, warum Sie hier sind. Koller hat Sie geschickt, damit Sie Lara suchen. Aber Sie werden sie nicht finden. Niemand wird uns finden.«
    Das klang gruselig, nach einem Falco-Song. »Ihr könnt nirgendwohin«, sagte Jan. »Aus dem Land kommt ihr nicht, und die Flughäfen …« Er brach ab, als er das Lächeln des Jungen sah.
    »Dort, wo wir hingehen, gibt es keine Flughäfen.«
    »Was soll das heißen?«
    Der Junge nickte. »Was ich gesagt hab.«
    »Willst du dich umbringen? Ich meine, wollt ihr …«
    Der Junge warf ihm einen langen Blick zu, in dem alles lag, jede mögliche Antwort. »Haben Sie Kippen?«, fragte er dann anstelle einer Erwiderung. »Meine sind oben, und ich kann Sie ja schlecht hier allein lassen.«
    Jan schüttelte den Kopf. Er wünschte sich weit weg. Lauter dumme, abgedroschene Sätze gingen ihm durch den Kopf. Selbstmord ist keine Lösung. Es gibt immer einen Ausweg. Es wird schon wieder. Auch wenn es jetzt vielleicht nicht so aussieht, irgendwann …
    Er müsste jetzt Vertrauen aufbauen, ihn ablenken.
    Er war nicht der Richtige für dieses Gespräch. Gar nicht. Zwar fürchtete er die Waffe in Svens Hand, weil er sicher war, dass dieser sie zur Not benutzen würde, aber wesentlich mehr als vor seinem eigenen möglichen Ende grauste ihm im Moment vor dem Rotzfleck auf dem Parkett und den entzündeten Ohrläppchen des Jungen. Rote Beulen und Buckel. Eklig. Ihn schauderte.
    Nein, er war wirklich der Falsche, um das

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