Nibelungenmord
weil sie Pausenaufsicht hatte. Total erschreckt hatte sie ihm aufhelfen wollen, das war ja eigentlich nett von ihr gewesen. Dummerweise hatte sie auch seine Jacke aufgehoben und zusammengelegt, typisch Mutter halt, und dabei war das Tütchen mit dem Pep rausgefallen.
Die Koller war völlig ausgetickt.
»Was ist das?«, hatte sie gekreischt. Er hatte versucht, sie zu beruhigen, denn er hatte gleich kapiert, dass sie jetzt dachte, er wäre ein Junkie oder so, aber sie hatte überhaupt nicht zugehört. Hektisch hatte sie seine Arme abgesucht, während er ihr zu erklären versuchte, dass man Pep durch die Nase zog und dass das kein Heroin war.
Sie hatte immer weiter geschrien. Woher er das Zeug bekam, und seit wann er das nahm, und ob er das an seine Freunde verteilte.
Er hatte ihr gesagt, dass er gar keine Freunde habe. Und da hatte sie ihn angesehen, total weiß im Gesicht, und hatte dasselbe gedacht wie er.
Keine Freunde außer Lara. Lara war seine einzige Freundin.
Sie hatte nach der Nummer seiner Eltern gefragt, und er hatte sie ihr gesagt, es war ihm total egal gewesen. Seine Mutter war in den Rhein gegangen oder sonst wohin, und sein Vater war ihm scheißegal. Aber während die Koller mit hysterischer Stimme in ihr Handy schrie, man habe Sven mit Drogen erwischt und das werde Konsequenzen haben, wurde ihm klar, dass die Sache doch noch eng für ihn werden konnte.
Wegen Lara.
»Ich habe deinen Eltern auf den Anrufbeantworter gesprochen«, hatte sie gezischt. »Sie wissen Bescheid.«
Er hatte nur die Achseln gezuckt, aber dann hatte sie etwas gesagt, das wirklich nicht ging. Gar nicht.
»Wenn du noch ein einziges Wort mit meiner Tochter sprichst …« Und wieder hatte sie nach ihrem Handy gegriffen. »Die siehst du nie wieder. Ich rufe jetzt die Polizei.«
Da hatte er gewusst, dass alles vorbei war. Nicht die Polizei, damit kam er klar, schließlich war es ja echt nur Pep, und wegen Pep machten die sicher keinen Aufstand, wo doch sogar Kiffe legal war. Aber wenn die Koller Lara verbieten würde, ihn zu sehen …
Lara war so brav. Sie gehorchte ihren Eltern eigentlich immer. Wenn sie das auch diesmal tat? Das konnte er nicht riskieren. Dann wäre sein Leben echt vorbei.
»Rufen Sie ruhig an«, sagte er. »Dann kann ich den Bullen zeigen, wo ich das Zeug herhabe. Da ist nämlich noch mehr davon. Und Lara ist da auch. Sie wartet auf mich.« Eigentlich hatte er das nur gesagt, damit sie nicht die Bullen rief. An mehr hatte er nicht gedacht. Da noch nicht.
Er hätte nicht erwartet, dass es klappen würde, aber an ihrem Gesicht hatte er sofort erkannt, dass sie Riesenschiss bekam. So war das bei strengen Eltern mit braven Kindern. Sie hatten dauernd Schiss, dass ihre Kinder ausbrachen. Dass die Leine riss. Und für die oberkorrekte Studienrätin Koller wäre das natürlich der Super-GAU, wenn die Bullen ihre brave Tochter mit Drogen erwischten.
Er hatte einfach ein Riesenschwein gehabt. Lara hatte ihr Handy ausgeschaltet, weil sie beim Sport war, sonst hatte sie es im Unterricht immer lautlos, aber beim Sport lag das Handy ja auf der Bank und brachte ihr nix. Darum flippte die Koller auch so aus, als nur die Mailbox dranging.
»Wo ist sie«, schrie sie, »wo ist meine Tochter?«
Das war echt der Witz bei strengen Eltern. Sie trauten ihren Kindern alles zu, das Schlimmste und noch mehr. Klar, sonst müssten sie denen ja nicht alles verbieten. Die Koller hatte ihn gepackt und geschüttelt, und dann hatte sie ihn angebrüllt, er solle sie zu ihrer Tochter bringen. Da hatte er gewusst, dass er es tun musste. Weil sie alles daransetzen würde, um ihn und Lara auseinanderzubringen. Darum hatte er das Schloss von seinem Fahrrad mitgenommen. Die Koller hatte das gar nicht richtig registriert. »Los jetzt, los!«, hatte sie geschrien.
Und als Sven dann neben ihr im Auto saß, um ihr den Weg zu Lara und den vielen gefährlichen Drogen zu zeigen, erzählte er lustig von den Partys, die er heimlich mit Lara feierte, und sie schaffte es einfach nicht, ihr Gehirn einzuschalten und mal logisch nachzudenken, obwohl sie ja eigentlich clever sein musste als Lehrerin. Aber er redete und redete, und er wusste genau, solange er weiterredete und ihre mütterliche Phantasie mit solchen Schreckensbildern fütterte, würde sie ihm zuhören und weiterfahren, einfach nur, um mehr zu hören. Weil sie pervers neugierig darauf war, was unartige Teenager so trieben.
Der Weg von der Schule zum Nachtigallental war nicht weit.
Da
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