Nibelungenmord
gestohlen.«
Margit Sippmeyer erschien mit einigen Beamten. »So wie es aussieht, muss ich jetzt erst mal mit aufs Präsidium, um diese Sache mit der Vermisstmeldung zu klären.«
Der Beamte hinter ihr räusperte sich. »Und die Dame, die Sie gefunden …«
»Sicher«, beeilte sich Edith und stand auf.
»Kann ich dich denn allein lassen, Jan?«
Er nickte. »Da ist nur noch eine Sache, die ich dich fragen will«, sagte er und wartete, bis die anderen das Zimmer verlassen hatten.
»Ja?«
»Kann ich eigentlich bei dir wohnen bleiben?«
Epilog
D ie Ausstellung war bombastisch angekündigt worden, und am Tag der Eröffnung tummelte sich auf dem Platz zwischen den Museen alles, was Rang und Namen hatte.
»Nibelungen – Untergang und Auferstehung« lautete der Titel der Ausstellung. In blutroten Buchstaben flatterte er nicht nur von den Fahnenmasten der Museen, selbst die Nationalflaggen auf dem Platz der Vereinten Nationen hatten der flächendeckenden Werbung für diese Veranstaltung weichen müssen.
Die Besucher, die ihre Karten bereits im Vorfeld bestellt hatten, betrachteten zufrieden die zankenden Massen, die vergeblich Einlass begehrten: Diese Vernissage war nicht nur gut besucht, sie war überfüllt, und zahlreiche Kunstinteressierte mussten zähneknirschend den Heimweg antreten oder aber im Museumsrestaurant bei einem Gläschen oder zwei ihrer Enttäuschung Luft machen.
Die Glücklichen, die hineindurften, betraten die Ausstellungsräume mit einer Andacht, die zunächst dem Aufruhr am Eingang und erst später, als die Details der Ausstellungsarchitektur in ihr Bewusstsein drangen, ihrer Umgebung geschuldet war.
Das Museum hatte ganze Arbeit geleistet. Offene Wände, verkohlte Balken, denen eine Ahnung von Rauchgeruch anhaftete, Pfützen auf dem Betonboden und ziellos verstreute Trümmer verströmten eine irritierende Aura von Krieg und Verwüstung. Es schien, als sei das Reich der Nibelungen erst vor wenigen Tagen untergegangen – oder waren es nicht doch die verstörenden Bilder aus der Tagesschau, die hier Wirklichkeit zu werden schienen?
Wispernd und aufgeregt trippelten die Ausstellungsbesucher zwischen den Exponaten umher, unruhige Blicke glitten über großformatige Drachenkämpfe im Manga-Stil und die flammenden Inferno-Phantasien junger Leipziger Maler.
»Wo ist es denn?«, fragten die Besucher mit wachsender Ungeduld, und erst im letzten Raum, dem größten, wich das aufgeregte Getuschel einem bewundernden Raunen.
Die Fotografie des Bildes, zwei Meter mal zwei Meter, dominierte die Stirnseite des Raumes. Siegfried, strahlend und golden, wie er auf seinem Mantel hockte. Flankiert wurde es von zwei Originalen, auf denen zwei mordlüsterne Frauen einander belauerten. Eine umfangreiche Dokumentation der Presseartikel zum sogenannten Nibelungenmord hinterließ beim Besucher Verwirrung, gepaart mit prickelnder Erregung. Der Ausstellungskatalog mit ergänzendem Material war binnen dreißig Minuten ausverkauft, da die meisten in weiser Voraussicht gleich mehrere Exemplare erstanden.
Lauter Applaus begleitete die violett gewandete Kuratorin, als sie ans Rednerpult trat und die Gäste begrüßte.
»Wir sind hier im Siebengebirge den Schauplätzen nahe, an denen historische Kämpfe stattgefunden haben, Kämpfe, die die Sage des Nibelungenliedes bis in die Gegenwart hinein beflügeln. Letztes Jahr wurde einer dieser mutmaßlichen Schauplätze Tatort eines grausigen Verbrechens und bewies erneut, dass die Welt, in der wir leben, und die Welt der Kunst eins sind.« Wie um nach Bestätigung zu heischen, suchte ihr Blick in der Menge und blieb schließlich an einem schmalen jungen Mann im schicken, maikäferbraunen Anzug haften. Sein Arm stützte eine reizende alte Dame im rosafarbenen Twinset, die mit dem Ausdruck äußerster Befriedigung den Trubel um sich herum betrachtete. Beinahe widerwillig nickte der Mann der Kuratorin zu, und für einen Moment stahl sich ein triumphierendes Lächeln in ihr Gesicht, eines, das ihren Mund öffnete und ihre schiefen Zähne freigab. Dann hatte sie sich wieder gefangen und fuhr mit ihrer Rede fort, die heftig beklatscht wurde, obwohl ihr kaum jemand wirklich zugehört hatte, außer vielleicht die alte Dame im rosafarbenen Twinset.
Der Generalanzeiger würde sich später in dem Versuch, sich gegen die herablassende Dokumentation vergangener Presseartikel zur Wehr zu setzen, über die Ausstellung lustig machen: Hatte sie doch ein Bild zum Zentrum, das seit einem
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