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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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aufschlussreich, was jemand liest. Liebesromane in grellfarbigen Einbänden lassen auf gutgläubige, romantische Herzen schließen. Ihre Leser lassen sich leicht betrügen, weil sie zu gern hätten, dass die Welt so ist, wie sie sie erträumen. Leser von Sachbüchern sind ernsthaft und pragmatisch. Sie haben für alles, was sie tun, einen vernünftigen Grund. Manchmal denken sie auch nur, es sei vernünftig, aber einen Grund haben sie immer. Das gilt natürlich nur für Menschen, die ausschließlich Sachbücher lesen«, fügte sie erklärend hinzu. »Beinahe jeder Mensch hat das eine oder andere Koch- oder Heimwerkerbuch, ohne dass es etwas zu bedeuten hat.«
    Jan sah etwas ungeduldig aus. »Das ist ja alles sehr interessant, aber …«
    »Natürlich. Zu dumm, ich schweife immer ab.« Sie saß aufrecht, die Strickjacke um die Schultern gelegt. »Frau Sippmeyer liest viele Kriminalromane. Das interessierte mich deswegen, weil ihr Verschwinden selbst aussah wie aus einem Kriminalroman: ein umgestürzter Stuhl, eine flatternde Gardine. Weswegen sollte jemand, der sich die Mühe macht, durch ein Fenster im ersten Stock einzudringen, nicht das Fenster schließen und den Stuhl wieder aufheben? Dafür gibt es keinen guten Grund. Es sei denn, es geht um den dramatischen Effekt.«
    Jan nickte zustimmend. So weit war die Polizei auch gekommen, wenn auch aus anderen Gründen.
    »Zuerst hatte ich den Ehemann im Verdacht. Er hätte den Anschein erwecken wollen, dass jemand von außen Margit entführt hat.«
    »Aber?«
    »Viel zu theatralisch für einen Mann! Und dann war da eben diese Biographie. Über Agatha Christie.«
    Jan sah ungläubig aus. »Und du willst ernsthaft behaupten, dieser Fall war genau wie in dem Buch?«
    »Zuerst grübelte ich nach, ob in einem ihrer Bücher eine Dame verschwindet, aber so kam ich nicht weiter. Irgendwann fiel mir auch ein, weswegen: Es geht nicht um ihre Bücher, sondern um ihr eigenes Verschwinden. In ihren Memoiren schweigt sie sich darüber zwar aus, aber trotzdem weiß jeder Fan wenigstens ungefähr, was damals geschehen ist. Agatha Christie hatte in den zwanziger Jahren eine schwere Krise durchzustehen. Ihre Mutter war verstorben, ihr Mann beichtete ihr seine Affäre und hatte vor, sie zu verlassen, sie sollte ihr Haus verlieren. In dieser schwierigen Situation verschwand sie plötzlich spurlos, von einem Tag auf den anderen. Zehn Tage lang suchte man fieberhaft nach ihr, dabei wurde ihr Ehemann natürlich besonders unter die Lupe genommen, immerhin hatte Christie als erfolgreiche Autorin bereits ein erhebliches Vermögen verdient, und er war natürlich ihr Erbe. Schließlich fand man sie in einem schicken Hotel. Sie behauptete, sich an nichts erinnern zu können.«
    »Warum behauptete? Glaubst du das nicht?«
    »Was ich glaube, ist nicht wichtig. Tatsache ist aber, dass der Mann von der Polizei wie ein Verbrecher wieder und wieder verhört wurde. Das muss scheußlich für ihn gewesen sein, neben der Sorge und dem schlechten Gewissen. Eine gute Strafe für seine Untreue, finde ich. Agatha Christie als Krimiautorin wusste natürlich genau, was auf ihren Archie zukommen würde, wenn er als der Hauptverdächtige erschien.« Edith sah sehr zufrieden aus, als gönne sie dem längst verblichenen Archie diese Tortur von Herzen.
    »Und?«
    »Nun ja, eine gute Werbung war das Ganze außerdem.«
    »Und so kamst du auf die Idee, Frau Sippmeyer habe es ebenso gemacht. Um ihren Mann zu bestrafen.«
    Jans Wunde schmerzte, und er legte vorsichtig die Hand darauf. Dann warf er einen Blick auf Margit Sippmeyer, die ihrerseits Edith musterte. »Eins müssen Sie mir verraten«, sagte sie. »Woher wussten Sie, dass ich im Rheinhotel Dreesen eingekehrt bin? Stand das auch in einem Buch?«
    »Ach das!« Abwertend wedelte Edith mit ihrer arthritisch gekrümmten Hand. »Das haben mir die Donna-Leon-Bücher verraten.«
    »Nämlich?«
    In diesem Moment klingelte Jans Handy. Es war Elena, und sofort kam ihm seine Walther in den Sinn. Bitte nicht, dachte er. Bitte keine weiteren Verletzten oder gar …
    »Wir haben den Jungen, Jan. Er wollte den Drachenfels hinauf. Offenbar wartet dort Lara auf ihn. Die beiden haben sich in einem der abbruchreifen Häuser versteckt, und er war nur noch einmal in sein Elternhaus zurückgekehrt, um einige Sachen zu holen. Löhne und Meyer sind unterwegs zu der Stelle, die er uns beschrieben hat. Ich gehe davon aus, dass er die Wahrheit sagt. Erzähl seiner Mutter noch nichts davon,

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