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Niccolòs Aufstieg

Titel: Niccolòs Aufstieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Dunnett
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entfernt noch, war Gelis; aber allein, nur von einem erschrockenen Diener begleitet. Flehend rief das Mädchen mit dem pummeligen, vor Entsetzen verzerrten Gesicht die Vorüberkommenden an, aber ihre schrill erhobene Stimme traf auf gleichgültige Ohren und ging im Trubel der ausgelassen Karneval Feiernden unter.
    Katelina raffte erneut ihre Röcke und lief ihrer kleinen Schwester entgegen. Sie rief ihren Namen und breitete die Arme aus, als sich das Kind mit den Ellbogen bis zu ihr durchkämpfte. Ohne Tränen, ohne Geschrei sagte Gelis: »Keiner glaubt mir. Aber wir haben es vom Turm aus gesehen. Plötzlich sind zwei Männer gekommen und haben Claes weggeschleppt. Und ich glaube, sie haben ihn getötet.«
    Als ihm Gelis und ihr Diener aufgebürdet wurden, meinte Claes, sich bereits im anstrengenden Finale eines besonders anstrengenden Tags zu befinden. So wie er das Leben kannte, hätte es ihn jedoch auch nicht gewundert, wenn noch weitere Mühen dazugekommen wären. Daß ihm aber Gefahr drohen könnte, kam ihm nicht in den Sinn.
    Tatsächlich war die Zeit mit dem Mädchen gar nicht so schlimm gewesen. Er hatte Freunde getroffen, mit denen sie im Kreis tanzten, hatte ihr einen Platz besorgt, wo sie den Gauklern Zusehen konnte, und hatte schließlich einen Bekannten gefunden, der sie alle zum Feuerwerk in den Turm der Christophoruskapelle hinaufbrachte. Wenn die Kleine bekam, was sie wollte, war sie sehr umgänglich. Aber so waren Frauen nun einmal.
    Danach wurde er zum Spielball der Ereignisse.
    Er brachte Gelis und ihren Diener in den Turm hinauf, lief wieder hinunter, um dem Bekannten zu danken, doch als er umkehren wollte, wurde er unversehens von einer wogenden Menge Schaulustiger mit fortgerissen. Als die Leute sich schließlich verliefen, war er bereits auf halbem Weg zum Waterhuis. Zwei Betrunkene hatten sich an ihn gehängt, die sich nicht abschütteln ließen. Am Ende schwang einer der Bezechten taumelnd einen Arm in die Höhe und ließ die schwere, weil gut bewaffnete Hand mit solcher Wucht auf Claes’ Kopf niedersausen, daß der kaum den ersten Stich des Schmerzes spürte, ehe er das Bewußtsein verlor.
    Er erwachte vom Geräusch lauten Keuchens und erkannte, daß seine eigenen Lungen es hervorbrachten, weil sie ächzend nach Luft schnappten, wo kaum welche war. Hämmernde Schmerzen pulsierten in seiner Schnittwunde und in seinem Kopf, während er langsam wieder zu sich kam. Dann packte ihn die Angst, nicht nur blind, sondern von Kopf bis Fuß gelähmt zu sein.
    Sein Verstand widersetzte sich diesem Unsinn. Er war nicht gelähmt. Seine Glieder waren steif, weil er in einen sehr engen Raum gepfercht war, und er sah nichts, weil es dunkel war. Er streckte seine taub gewordenen Finger aus und erkundete die Wände seines Gefängnisses. Sie waren aus Holz.
    Vermutlich ein Sarg. Oder als solcher gedacht. Sein Mund war weit geöffnet, wie bei einem Fisch auf dem Trockenen. Er spürte, wie sich seine Lippen spannten und seine Nasenflügel blähten. Hals und Brust taten ihm weh. Ein Schwächegefühl überfiel ihn und ebbte wieder ab. Holz. Holz konnte er sprengen, wenn es nicht zu dick war. Da konnte er sich befreien. Wenn er nicht tatsächlich in einem Sarg lag. Wenn dies nicht tatsächlich ein Grab tief unter der Erde war.
    Versuchs!
    Schon waren seine Knie auf Brusthöhe. Er zog sie noch ein Stück weiter hinauf und trat mit beiden Füßen gegen die Wand seines Gefängnisses. Unerschütterlich. Eiserner Widerstand. Nichts als ein dumpfes Dröhnen, das auch von Metall herrühren konnte. Und erneut dieses Schwächegefühl, das ihm sagte, daß für einen zweiten Versuch seine Kräfte nicht mehr reichen würden.
    Es sei denn, die Wand war nicht überall so dick. Und die Decke, wie siehts damit aus? Beweg dich. Atme langsam. Heb eine Hand, jetzt die andere. Was nimmst du wahr?
    Nicht nur Holz, da ist noch ein anderer vertrauter Geruch. Keine geraden Wände. Kein Geruch von Fäulnis. Ein Geruch so schwach wie der Lufthauch, der ihn zusammen mit einer verrückten, banalen Erinnerung herangetragen hatte. An Frauen. An Gasthäuser. An lustig zugebrachte Stunden. Der Geruch von Malvasierwein. Er war nicht in einem Sarg. Er war in einem Faß.
    Am liebsten hätte er gelacht, aber immer wieder schwanden ihm die Sinne. Sein Verstand sagte: Wenn …
    Und er vergaß, worüber er nachdachte.
    Dann fiel es ihm wieder ein. Sein Verstand sagte: Wenn es ein Faß ist…
    Der Gedanke war wichtig, darum klammerte er sich an ihn. Er

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