Niccolòs Aufstieg
Erfahrenheit. Und nun würde sie also entdecken, wer dieser Mann mit Erfahrung war.
Das Feuer war heruntergebrannt. Sie ging hin, um nachzulegen, und er sagte im selben glatten Flämisch wie vorher: »Gebt auf Euren Umhang acht.« Sie hielt inne und gestattete ihm, die Schließe ihres Umhangs von hinten zu öffnen, bevor sie niederkniete. Sie spürte seine Finger an ihrem zerzausten Haarzopf. Als sie sich dann über das Feuer beugte, um es wieder anzufachen, ging er durchs Zimmer und legte ihren Umhang auf einen Hocker.
Als sie sich wieder erhob, erwartete sie, daß auch er abgelegt haben würde, doch er hatte nichts dergleichen getan. »Ihr habt Euch einen Lohn für Eure Aufmerksamkeiten verdient«, sagte sie. »Es ist leider nur ein Becher Wein, aber Ihr könnt wenigstens Platz nehmen und Euch zur Abwechslung von mir bedienen lassen.« Lächelnd war sie zum Schrank getreten, aber er rührte sich nicht. Sie nahm zwei Becher und eine Kanne heraus, um sie zur Polsterbank vor dem Feuer zu tragen. »Ich verstehe. Unter der Eulenmaske verbirgt sich wohl ein Eulengesicht?«
Sein Umhang war blau, aus einem dicken Stoff, der bis zum Boden herabfiel. Er machte keine Anstalten, ihn abzunehmen. Leicht ungeduldig bückte sie sich, um Becher und Kanne auf einen Hocker zu stellen, und merkte, daß eine wellige Haarsträhne ihr über die Schulter fiel. Sie neigte den Kopf, um sie einzufangen, aber schon im selben Moment erkannte sie, was er getan hatte. Er hatte ihr Haar gelöst, als er ihr den Umhang abgenommen hatte.
Mit fragendem Blick drehte sie sich nach ihm um und sah, daß er dicht hinter ihr stand, die Eulenmaske war ihrem Gesicht sehr nahe. »Und jetzt zum Rest der hübschen Bändchen«, sagte er.
Sie zuckte vor seinen Händen zurück, so heftig, daß ihre Halskette in seinen Fingern hängenblieb. »Nein!« rief sie. »Das war nicht abgemacht.«
Die Eule stand reglos da. Es war nicht zu erkennen, ob der Mann unter der Maske erschrocken oder verärgert war oder ob er sich nur zusammenriß. »Ich habe keine Abmachung getroffen«, erwiderte er auf sie zugehend.
Sie war zwischen einem Stuhl und der Wand gefangen. »Doch, das habt Ihr. Die Abmachung mit meiner Mutter. Das Röllchen gestattet Euch, einen Abend lang mein Begleiter zu sein. Wenn Ihr mehr wünscht, könnt Ihr sie morgen aufsuchen.« Der Atem wurde ihr knapp.
Er war neben dem Stuhl stehengeblieben. »Wenn ich mehr wünsche? Aber, Demoiselle, Ihr seid es doch, die das hier wünscht. Als Ihr mein Pergamentröllchen gesehen habt, wußtet Ihr, daß ich nicht vom Herrensitz Kortrijk komme. Als Ihr mich nach Hause eingeladen habt, wußtet Ihr, daß ich keiner der von Eurer Mutter gewählten Freier bin. Niemand hat hier eine Abmachung getroffen. Niemand außer Euch hat mir erlaubt, hier zu sein. Und warum, wenn nicht aus diesem Grund?«
»Das war nie der Grund.«
»Waren es meine geistreichen Gespräche? Ich war doch den ganzen Abend stumm. Oder der innere Einklang zwischen uns? Aber bis jetzt waren wir ja nicht einmal allein! Warum habt Ihr mich hierher gebracht, wenn nicht, um meine Begierde zu schüren und die Eure zu stillen? Reizende Demoiselle, alle Welt weiß, daß Ihr Jungfrau seid, und vermutet, daß Ihr es nicht gern seid. Warum länger in diesem Zustand verharren?«
Alles ging in eine völlig falsche Richtung. Sogar seine Stimme hatte sich verändert. »Gewalt war eigentlich nicht das, was mir vorschwebte«, erwiderte Katelina kühl und schwieg einen Moment. »Heirat vielleicht.« Hatte er die Tür abgeschlossen?
Hinter der Maske lachte er leise. »Ihr wollt an eine Heirat mit dem Mann gedacht haben, für den Ihr mich hieltet! Blanker Unsinn, Demoiselle. Ich beabsichtige durchaus, Euch zu heiraten, aber erst, wenn ich Euch mit den Wonnen dieses Zustands bekannt gemacht habe. Dann wird es sicher keiner Überredungskünste mehr bedürfen, Euch für eine Heirat mit mir zu begeistern. Ich bin«, sagte die Eule, »ein Mann von außergewöhnlichen Fähigkeiten, wie mir immer wieder versichert wird. Und bin, da mein Sohn es Euch nicht recht machen kann, bereit, sie Euch zu Füßen zu legen.«
»Euer Sohn?« fragte Katelina.
Noch während sie sprach, warf er den voluminösen Umhang zurück, Die gepflegten Hände, die sie so zuvorkommend bedient hatten, hoben sich zu der Eulenmaske. Die Finger, die beim Tanzen die ihren berührt und so entschlossen nach ihrer Kleidung gegriffen hatten, umfaßten beide Seiten der Maske und hoben sie vorsichtig in die Höhe.
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