Niccolòs Aufstieg
Menge mischen. Halb betrunken und klatschnaß, seinen Feinden gefährlich nahe. Und vielleicht auch dem oder denen, die sie beauftragt hatten.
Mittlerweile war er so durchgefroren, daß er kaum noch atmen konnte. Welche Ironie, aber er hatte nicht einmal mehr die Kraft, darüber zu lachen. Das Faß rumpelte gegen die gesuchte Rampe, er tastete mit den Füßen nach festem Boden, fand ihn und versuchte, das Faß hochzuschieben und freizukommen. Plötzlich verdunkelten Gestalten das Licht, das von oben in sein Gefängnis fiel, jemand packte das Faß fest mit beiden Händen und rammte es wieder abwärts. Gleich darauf wurde der obere Deckel herausgerissen.
Ehe er sehen konnte, mit wem er es zu tun hatte, wurde ihm etwas übergestülpt, das seinen ganzen Kopf umhüllte. Dann hörte er eine Stimme, die er kannte.
»Läuft uns dieser Trunkenbold denn überall über den Weg? Du da! Du bist doch ein Freund von Poppe?« Es war die ärgerliche Stimme Katelina van Borselens.
Poppe. Der Pfefferkuchenhändler im Faß.
»Ihr drei da!« rief sie. »Schaut doch! Er kann nicht einmal stehen.«
Sie wußte nicht, ob er gehen konnte. Langsam kam er auf die Füße, den Körper vom Faß umschlossen, den Kopf darüber unter dem Ding, das sie ihm aufgesetzt hatte. Eine Karnevalsmaske. Mit einem Haufen Federn.
»Ich habe Poppe schon vor Stunden heimgebracht«, sagte ein Mann. »Ich dachte, er wäre zu Hause.«
»Anscheinend ist er wieder ausgerissen. Du siehst es ja.«
Du lieber Gott. Eine Kinderstimme diesmal. Die Schwester. Offenbar waren beide van-Borselen-Mädchen hier.
Gelis. Natürlich. Gelis mußte es vom Turm aus beobachtet haben. Sie hatte wohl die beiden angeblichen Trunkenbolde erkannt und ihre ältere Schwester ermahnt, ihn nicht zu verraten. Aber wie wollten sie einen klatschnassen Poppe in einem klatschnassen Faß erklären? Sie brauchten nichts zu erklären. Sie brauchten ihn nur mit einer Schar hilfsbereiter Menschen zu umgeben, die ihn für Poppe hielten. Dann konnte niemand ihm etwas antun. Jedenfalls nicht, bis sie Poppes Haus erreichten.
Das Faß war unglaublich schwer. Vielleicht hatte das Bußfaß innen Haltegriffe. Oder besondere Streben, die auf den Schultern auflagen. Er jedenfalls mußte dieses hier ohne Hilfsmittel tragen, während er von der Seite oder von hinten ständig angerempelt wurde. Eine kleine Menschenmenge schien ihm das Geleit zu geben. Ein beliebter Bursche, dieser Poppe. Wo er wohl wohnte? Ihm wurde bewußt, daß er dauernd stolperte und wahrscheinlich kreuz und quer auf der Straße umhergetorkelt wäre, wenn die Leute um ihn herum nicht gewesen wären. Hin und wieder erhaschte er durch die Augenschlitze seiner Maske einen Blick auf das angstbleiche Gesicht des reizlosen kleinen Mädchens. Und manchmal auf das ihrer Schwester Katelina, das eine steile Falte zwischen den dunklen Brauen zeigte, aber furchtlos war. Sie wirkte eher grimmig entschlossen.
Der Zug bewegte sich langsamer, hielt an. Poppes Haus. Und drinnen zweifellos Poppe mit Frau und Kindern in seligem Schlaf. Wieso war die Demoiselle so unbesorgt? Sie war jetzt neben ihn getreten. Und an seiner anderen Seite stand Gelis.
»Hoch!« befahl jemand.
Das Faß hob sich in die Luft, und die Demoiselle sagte: »Schnell hinaus und lauf!«
Er hätte gern zu bedenken gegeben, daß er kaum noch imstande war, auch nur lautlos in sich zusammenzusinken. Aber kaum war er befreit, da packte ihn schon einer - die Demoiselle - am Arm und zog ihn weg. Das Faß blieb zurück, offenbar mit einem anderen Insassen.
»Gelis«, sagte Katelina van Borselen. »Sie wird es gleich absetzen und verschwinden. Um sie müssen wir uns keine Sorgen machen. Sie kommt immer zurecht. Ich habe ihr gesagt, sie soll zu den de Veeres gehen.«
Seine Zähne schlugen aufeinander, daß er meinte, der Kopf würde ihm bersten unter der Erschütterung. In der eisigen Kälte fühlte sich die Wunde in seinem Gesicht an wie von einer Axt geschlagen. Sein Gehirn schien gefroren zu sein.
»Ich bringe dich hinten herum in die Zilverstraat. Es ist niemand im Haus.«
Er erinnerte sich, daß er sich wunderte, warum die van Borselens ihre Hinterpforte nicht verriegelten. Er erinnerte sich, daß sie ihn in eine von einer großen Feuerstelle erhellte Küche führte; daß er auf der Schwelle stehenblieb und, als ihm bewußt wurde warum, festen Schritts weiterging. Nein, nicht festen Schritts. Er hatte ja von Kopf bis Fuß gezittert. Er erinnerte sich ganz deutich, daß Katelina van
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