Niccolòs Aufstieg
Und darunter kam das gewaltige, lächelnde Gesicht Jordan de Ribéracs zum Vorschein.
»Warum nur ist Simon Euch so verhaßt, frage ich mich manchmal«, sagte er. »Er ist natürlich viel zu tief gekränkt, um Euch einen Antrag zu machen, und hat im übrigen zuvor noch eine ganz persönliche Rechnung zu begleichen. Das glaubt er jedenfalls. Wenn er zurückkommt, wird er feststellen, daß sie bereits für ihn beglichen wurde. Ich habe dem Raufbold seine Augen gelassen, aber bei jedem Blick in den Spiegel wird er an mich denken. Ich verabscheue ungehobeltes Pack und Leute, die sich damit einlassen«, erklärte Vicomte de Ribérac. »Das werdet Ihr sehen, wenn Ihr erst nach Frankreich kommt. Sonst könnte ich keine Kinder mit Euch zeugen.«
Claes! Dieser Mann hatte ihn so gezeichnet! Und was hatte er da eben gesagt? Sie stemmte beide Hände auf den Stuhl, der vor ihr stand. »Ihr wollt Kinder, um Euren Sohn aus der Erbfolge -«
Mild lächelnd unterbrach er sie. »Mit einem einzigen Sohn ist man den Launen des Schicksals zu sehr ausgeliefert. Ein reicher Mann braucht mehr als einen Erben.«
»Ihr habt eine Ehefrau.«
Jordan de Ribérac hörte nicht auf zu lächeln. »Es gibt viele Möglichkeiten, sich einer Ehefrau zu entledigen. Und eine Frau, die ein Kind trägt, wird immer von Mensch und Gott geliebt, was wir beide beweisen werden. Die Tür ist abgeschlossen und die Pförtner sind bestochen, Demoiselle Katelina. Ich werde mich entkleiden, und Ihr werdet so liebenswürdig sein, noch etwas Holz nachzulegen. Der Fußboden ist kalt.«
Die Tür zum Haupttrakt des Hauses war verschlossen. Aber die Tür in der Ecke gegenüber nicht, und die führte über eine Treppe in einen Hof mit einer Pforte nach draußen.
Sie trat zum Feuer, als wollte sie Holz nachlegen. Er begann tatsächlich sich zu entkleiden, öffnete die Spangen seines Überrocks und mühte sich, die dicken Arme aus den wattierten Ärmeln zu ziehen. Sie wartete nicht länger. Mit wenigen Sätzen war sie bei der kleinen Tür und stürmte gleich darauf mit gerafften Röcken die Treppe hinunter.
Er fluchte und lief dann los. Sie hörte seine trampelnden Schritte auf den obersten Stufen, als sie die letzten hinuntersprang und in den Garten rannte. Bäume, Pflanzenkübel, der unselige Brunnen standen ihr im Weg. Ihre Füße versanken im Schnee. Sie wußte plötzlich nicht mehr, wo die Hinterpforte war; fand sie; die Riegel waren in der Kälte eingefroren. Wie wild schlug sie dagegen und vernahm hinter sich schon Ribéracs Schritte.
Der erste Riegel gab nach; dann auch der zweite. Sie riß die Tür auf und stürzte auf die Steenstraat hinaus, hell erleuchtet und dicht bevölkert von feiernden Menschen. Vorüberkommende drehten die Köpfe und lächelten über ihren gerafften Rock. Sie war in Sicherheit. Sie brauchte nicht um Hilfe zu rufen. Sie brauchte nur über den Platz zu laufen zum Haus der Familie de Veere, wo ihre Eltern und Gelis waren. Vermutlich hatte de Ribérac gelogen, als er behauptete, die Pförtner bestochen zu haben. Aber das hatte Zeit bis morgen. Unnötig, heute nacht noch einmal in das Haus in der Zilverstraat zurückzukehren.
Sie mischte sich unter die singenden, lachenden Leute auf der Straße, ehe sie sich umdrehte und zurückblickte. Jordan de Ribérac stand barhäuptig und ohne Umhang an der Hinterpforte. Er versuchte nicht, sie zu verfolgen, sondern starrte sie über fremde Köpfe hinweg an. Dann setzte er sich, groß und massig, in Bewegung und ging, von seinem Schatten gefolgt, entschlossen in entgegengesetzter Richtung davon.
Er hatte ihr im Haus ihrer Eltern Gewalt antun wollen. Nachdem sie einen Abend mit ihm verbracht hatte. Nachdem sie ihn freundlich hereingebeten hatte.
Er hatte sie getäuscht. Er hatte ihr einen Namen gezeigt, der nicht der seine war. Er hatte es unterlassen, das Einverständnis ihrer Eltern einzuholen. Sie mußte es ihren Eltern sagen, denn sie brauchte ihren Schutz. Aber sonst brauchte keiner etwas von der Sache zu erfahren. Es reichte ihr, sich das Gesicht ihrer Mutter vorzustellen. Der Sohn der Familie aus Kortrijk war einen Kopf kleiner als Simons Vater, das wußte auch ihre Mutter.
Sie merkte, daß sie zitterte, und begann von der Menge geschoben zu laufen. Es mußte Zeit für das Feuerwerk und das Karnevalsfeuer sein. Irgendwo hier in der Nähe hielt sich wahrscheinlich die kleine de-Veere-Gesellschaft mit Charles und Gelis und einer schützenden Dienerschar auf. Und wirklich, dort vorn, ein Stück
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