Niccolòs Aufstieg
gerade. »Sogar zu mir hat der Herzog davon gesprochen. Ihr wußtet nicht, daß er sich einen abgerichteten Vogel Strauß wünscht?«
»Nein«, antwortete Pigello. »Das habe ich erst von Tommaso gehört. Offenbar mußte das Tier aus Spanien geholt werden, und bei der Beförderung ist es wohl zu einer Verzögerung gekommen.«
»Infolge eines Schiffbruchs«, sagte Nicholas. »Der leider einen Rechtsstreit nach sich gezogen hat. Aber ich hörte, daß der Vogel gesund und wohlbehalten ist.«
Pigello Portinari schien nicht weiter beunruhigt. »Messer Strozzi und mein Bruder werden gewiß dafür sorgen, daß er irgendwann in Mailand eintrifft. Wenn Ihr etwas tun könnt, um die Sache zu beschleunigen, wüßten wir das natürlich zu schätzen.«
»Danke für Euer Vertrauen«, sagte Nicholas. »Aber ich habe im Moment sehr viel zu tun. Und auf keinen Fall möchte ich Messer Tommaso um seinen Triumph bringen. Der Strauß ist nun heil in Brügge und bereit, die Reise als Geschenk Herzog Philipps an Herzog Francesco anzutreten. Das ist doch eine Leistung.«
Draußen in der Via dei Bossi sagte Felix: »Der Strauß!«
»Ja?« Beschwingt eilte Nicholas zwischen schwitzenden Menschen und unter Sonnendächern hindurch, und wenn er an einem hübschen Mädchen vorüberkam, lachte er es an.
»Die Medici hatten nie von dem Vogel gehört«, fuhr Felix fort. »Und Messer Cicco hat ihn auch nicht erwähnt.«
»Nein«, sagte Nicholas, der eben mit drei Orangen von einem Stand wegtrat. Im Gehen begann er, mit den Früchten zu jonglieren, ohne sich darum zu kümmern, daß er Hausfrauen, wohlgekleideten Adeligen und Kaufleuten, unter ihren Soutanen schwitzenden Geistlichen, Dienstboten und Handwerkern, Marktverkäufern und Kindern in den Weg kam. Zwei Männer, die auf einem Balkon Schach spielten, schauten erst aufwärts, dann abwärts, als an ihren Ohren vorbei eine Orange in die Höhe flog und gleich wieder zur Erde hinuntersauste.
»Aber in dem Brief, den du Tommaso gebracht hast, stand doch, der Herzog wolle einen haben.«
»Richtig«, sagte Nicholas. Drei Hunde und mehrere Kinder folgten ihm.
»Dann hast du das also erfunden? Du hast die ganze Geschichte erfunden? In Wirklichkeit will kein Mensch einen Vogel Strauß?«
»Doch, ich«, entgegnete Nicholas. »Und Tommaso. Und Lorenzo auch. Und wenn ich der herzoglichen Kanzlei melde, daß er kommt, wird auch der Herzog einen haben wollen. Wenn wirklich niemand ihn will, stiften wir ihn für die Lotterie wie dein Stachelschwein. Wir machen ihn am Wasserrad fest und schauen zu, wie er alle Eimer anknabbert. Wir lassen ihn den Kran antreiben. Wir lassen ihn die Kanäle ausräumen. Winrik kann sein Geld in ihm aufbewahren. Jedermann sollte einen Strauß haben. Oder eine Orange. Fang!«
Er fing sie nicht, sie fiel in den Brunnen bei der Mauer, an dem sie gerade vorübergingen, und das Wasser spritzte ihm auf die Nase.
Felix machte es nichts aus. Claes war zurück - nur für wie lange?
Nicholas, nicht Claes, begleitete Felix an diesem Abend zum Haus von Prosper de Camulio de Medici. Bei dem kräftigen warmen Wind, der sich erhoben hatte, war es trotz des Staubs angenehm, im Schatten der gewellten Dachtraufen und der Balkone, an schiefen Treppen mit leuchtenden Blumentöpfen vorbei durch die engen Straßen zu schlendern. Über ihnen schossen, scheinbar ziellos wie Mücken, die Mauersegler hin und her, deren ferne Schreie beim Herabstoßen zu einem schrill sirrenden Pfeifen wurden.
Camulios Haus lag im Süden der Stadt, nahe beim inneren Ringkanal. Zwischen diesem und dem äußeren Wassergürtel standen an eigens angelegten Kanälen, auf denen Frachtkähne bis ins Herz der Stadt gelangen konnten, einige große Kirchen und Herbergen. Die Schirmherren zweier solcher Kirchen waren die Brüder Portinari, die dafür besondere Privilegien genossen.
Handel. Wohlstand. Ansehen. Hochgestimmt und mit neuem Selbstvertrauen schritt Felix de Charetty an Nicholas’ Seite auf den gepflasterten Straßen dahin und erzählte dem bereitwillig Zuhörenden ausführlich vom Nachmittag beim herzoglichen Turniermeister auf dem Turnierplatz des Herzogs im (halb wiederaufgebauten) Castello.
Dann erreichten sie die Casa Camulio mit dem Wappen über dem Tor und den von der tiefstehenden Sonne erleuchteten Arkaden im kleinen, warmen Innenhof. Prosper de Camulio lud sie ein, am Brunnen Platz zu nehmen. Er hatte nur einen weiteren Gast. Vier Männer bei gemeinsamem Essen und Gespräch. Ohne Frauen. Vier
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