Niccolòs Aufstieg
Hitze.
Julius überlebte es und auch Astorre, dessen Fähigkeiten im Feld Julius nicht umsonst gepriesen hatte. Darauf verstand der Hauptmann sich am besten, Männer in eine Schlacht zu führen, sie um sich zu scharen und bei Mut zu halten, dafür zu sorgen, daß sie unversehrt blieben.
An diesem Tag konnte er seine Schar nicht vor Schaden schützen. Niemand hätte das gekonnt. Die Feuerschützen, die den Nahkampf nicht gewohnt waren, litten am schwersten. Sie hatten ihre Büchsen, die hier nutzlos gewesen wären, gar nicht erst mitgenommen. Die Armbrustschützen beider Seiten hingegen hatten ein Blutbad angerichtet. Julius hatte Abrami fallen sehen und Lukin, den besten Koch und Proviantmeister, den Astorre je gehabt hatte. Manfred, der Schmied, hatte schon früh sein Pferd verloren, war aber rechtzeitig aus dem Sattel gesprungen und hatte sich gleich ein anderes gefangen. Später sah Julius, daß er Nicholas an seiner Seite hatte, und war froh.
Einmal bemerkte er, daß auch Felix bei ihnen war, aber dann jagte der Bursche mit wehendem Helmbusch davon, bis Astorre ihn zurückrief. Die ganze Zeit über bemühten sich alle, auf Felix achtzugeben und, soweit möglich, an seiner Seite zu bleiben. Er war der Sohn ihrer Herrin, deren kostbarster Besitz und leider ein sehr wagemutiger junger Mann. Wenn Julius nicht gerade mitten im Kampf war, ließ er ihn praktisch keinen Moment aus den Augen. Genauso Nicholas, wie er bemerkte. Und sogar Tobias. Die größte Überraschung für ihn war der Anblick von Tobias, der ohne Helm dastand und mit einer Hand sein Pferd hielt, während er mit der anderen dabei half, den abgesessenen Grafen Federigo in seinem Panzer aus Verbänden wieder in den Sattel zu befördern. Dann wurde Julius fortgerissen, und er verlor den kahlen Schädel aus den Augen.
Irgendwann hatte sein Arm so viele Schläge empfangen, daß er ihn nicht mehr spürte und die Hand unter dem Handschuh sich wie ein Fleischklumpen anfühlte. Da hob er den Kopf und öffnete weit die trockenen, brennenden Augen und sah, daß die Sonne unterging und die Ebene schwarz war von Gefallenen.
Die Reiter, die übrig waren, bewegten sich auf wackeligen Pferden langsam voran und versperrten dem Feind den Weg mehr mit ihrer körperlichen Präsenz als mit Lanzen und Schwertern. Die Einzelgefechte hörten auf, auseinandergerissene Einheiten begannen sich zu sammeln und dichtgeschlossene Gruppen zu bilden, denen jedoch alle Kampfeslust fehlte. Durch den rötlichen Himmel schossen Scharen scharf umrissener kleiner Vögel, deren Gezwitscher im lauter werdenden Klagen der Männer unterging.
»Aufstellen«, befahl Astorre. »In Reih und Glied. Der Graf läßt zum Rückzug blasen.«
Tobias war immer noch beim Grafen. Manfred war da. Nicholas und hinter ihm, bei Gott, Lionetto. Thomas war da. Und Felix? Julius schaute sich um. Ein Funkeln blendete ihn. Drüben auf der anderen Seite zog auch Piccinino seine Leute zurück, auch seine Trompeter warteten.
Überall auf dem Feld waren noch Männer, entweder zu Fuß auf dem Rückzug oder noch in halbherzige Gefechte verwickelt, wenn sie den Abbruch des Kampfes nicht bemerkt hatten. Unter ihnen war Felix, barhäuptig und ohne Pferd. Er kämpfte nicht mehr, schien aber etwas zu suchen. Julius rief ihn. Aber erst Astorres Stimme, die lauter war, veranlagte ihn aufzublicken. Im selben Moment erklangen die Trompeten, und er begriff, daß die Kämpfe beendet waren. Lachend richtete er sich auf und winkte. Er trug seinen Helm unter dem Arm, der scharlachrote Federbusch hing herab, der grimmige Adlerkopf sah zum Himmel hinauf. Julius rief: »Lauf, du Narr!«
Die Worte galten Felix. Wie als Reaktion auf sie gab Nicholas seinem Pferd die Sporen und preschte aufs Feld hinaus, ihm entgegen. Er schlug einen Bogen, um in Felix’ Rücken vor die sich schließende feindliche Linie zu gelangen. Felix, der plötzlich begriff, was geschah, gestikulierte hastig und begann zu laufen. Nicholas wendete sein Pferd, um ihn einzuholen und im Galopp zu begleiten.
Der Rückzug war noch nicht ganz abgeschlossen. Piccininos Trompeten hatten bislang nicht geantwortet, obwohl seine Truppen sich beinahe gesammelt zum Rückzug formiert hatten. Der einzelne Reiter, der da aus Urbinos Reihen ausgebrochen war, zog wohl den Blick eines Armbrustschützen auf sich. Selbst im schwindenden Licht bot ein Reiter ein leichtes Ziel.
Julius, der die kleine Rettungsaktion beobachtete, schrie. Nicholas hörte ihn. Aber das änderte nichts.
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