Niccolòs Aufstieg
Urbino anzuschließen. Man hoffte, dort noch sicherer zu sein. Sie hoffte, Felix würde nun nach bestandener Feuerprobe nach Hause kommen und Nicholas mit ihm. Dann wieder bemühte sie sich, gar nicht zu hoffen, sondern einfach den täglichen Geschäften nachzugehen.
Arbeit. Das Allheilmittel. Nicholas hatte recht gehabt. Hätte sie aufgegeben, verkauft und sich irgendwo in ein Häuschen zurückgezogen, um zu klöppeln und zum Fenster hinauszustarren, so wäre sie schon tot.
Mitte August waren Haus und Werkstätten wiederaufgebaut und nach ihren Wünschen eingerichtet. Die Lager waren gefüllt, mit feinerem Tuch als früher und Farben von bester Qualität. Auch neue, bessere Arbeiter hatte sie angeworben, aber ohne jemanden fortzuschicken. Leute, die aus Mitleid bei ihr gekauft hatten, kauften nun, weil sie mit der Ware zufrieden waren. Und fanden bald heraus, daß sie außerdem in finanzieller Hinsicht entgegenkommend war.
Genau diesen Kurs, hatte Nicholas gemeint, müsse das Unternehmen einschlagen, und Gregorio sei am besten geeignet, ihn zu steuern. Wucher war verboten. Aber der Kern des Pfandleihgeschäfts war die Gewährung von Krediten gegen Sicherheiten, und dieses Prinzip war ohne weiteres auf den Austausch von Fertiggütern gegen Rohmaterialien anzuwenden. Und auf andere Geschäfte. Die Bücher wiesen niemals Kredite aus, nur verspätete Zahlungen. Als sie merkte, daß Tilde sich interessierte, erlaubte sie ihr, ab und zu dabeizubleiben und zuzuhören.
Der August ging zu Ende. Eine merkwürdige Zeit, dachte sie später, zu drei Vierteln glücklich. Das Klopfen an der Tür, das hämmernde Klopfen, das Vorbote der Veränderung war, fiel in die letzten Tage dieses Monats.
Sie war im neuen Lagerhaus, das neben dem großen Haus in der Spanjaardstraat gebaut worden war. Der Pförtner, der geöffnet hatte, holte Gregorio. Der kam durchs Haus direkt zum Lager, wo sie mit der Schreibtafel stand und zwei ihrer Lagerhalter beim Überprüfen der Bestände beaufsichtigte. Vor der Ankunft der Flandern-Galeeren war immer viel zu tun. »Demoiselle«, sagte Gregorio in einem ungewöhnlichen Ton, der sie veranlaßte, sich schnell umzudrehen. »Kann ich Euch einen Moment sprechen? Ihr habt Besuch.«
Sie sprach mit den beiden Arbeitern, dann kam sie heraus, die Schreibtafel noch in der Hand. Er wollte sie nicht erschrecken, er durfte sie nicht erschrecken. »Es geht um Leute, mit denen wir bis vor kurzem Geschäfte gemacht haben. Thibault und Jaak de Fleury.«
Sie nickte verwundert. »Die Medici haben bezahlt, was sie uns schuldeten.«
»Ja, ich weiß«, sagte Gregorio. »Und Monsieur Jaak de Fleury ist mit Euch verwandt?«
»Meine Schwester war mit seinem Bruder verheiratet. Ich dachte, das wüßtet Ihr. Wir haben nie viel füreinander übrig gehabt. Ganz abgesehen von seinen unbezahlten Rechnungen. Aber was gibt es? Habt Ihr eine Nachricht von ihm?«
»Er ist hier, Demoiselle. Ich bat ihn, im Haus zu warten, weil ich nicht sicher bin, ob Ihr ihn empfangen solltet. Er ist nicht Herr seiner selbst.«
»Das ist ja etwas ganz Neues«, sagte Marian de Charetty. »Wo er doch sonst nicht nur Herr seiner selbst, sondern der ganzen Welt war. Was ist denn geschehen?«
Gregorio lächelte schwach. »Das geht mich offenbar nichts an, Es tut mir leid, Demoiselle, er wollte es mir nicht sagen. Aber er hat ein Dutzend Pferde vor dem Haus, zwei Wagen und eine ganze Dienerschar. Es muß schon etwas Ernstes sein.« Er hielt kurz inne. »Ich dachte mir - wenn Ihr mir gestattet, ihm zu sagen daß Ihr außer Haus seid, könnte er sich einen Gasthof suchen und allein wiederkommen, wenn er sich beruhigt hat.«
Sie sah ihn nachdenklich an, dann war ihr Entschluß gefaßt. »Nein, ich werde mit ihm sprechen. Wenn es mir nicht paßt, daß er bleibt, werde ich ihm das selbst sagen. Er kann sich ja wohl kaum gegen meinen Willen hier aufdrängen.«
»Soll ich in Rufweite bleiben?« fragte Gregorio.
Sie ließ sich alles durch den Kopf gehen, was sie über den unangenehmen Schwager ihrer Schwester wußte. An Gewalt gegen Erwachsene erinnerte sie sich nicht. Außer gegen solche, die von ihm abhängig waren, und zu denen gehörte sie nicht. Mit seelischer Grausamkeit verhielt es sich anders. Sie hatte nicht vergessen, daß Nicholas in seiner Küche groß geworden war. Und daß sie nach Jaaks Auffassung seinen Küchenjungen geheiratet hatte. Ein erfreuliches Gespräch würde es nicht werden. Sie wollte keine Zeugen dabeihaben, nicht einmal
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