Niccolòs Aufstieg
junger Mann mit besonderen Gaben war. Aber nun gab es Anzeichen dafür, daß weit mehr in ihm steckte, und es war auffallend, daß auch Felix begonnen hatte, den einst mißachteten Lehrling wie einen Ebenbürtigen zu behandeln. Er hatte an diesen Verhandlungen teilgehabt. Und was noch erstaunlicher war, er hatte geschwiegen.
Felix war tot. Jetzt erbten die Töchter und die Männer, die sie heiraten würden. Das betraf allerdings nur das kleine Handelshaus Charetty. Nicholas war schon dabei, sich seinen eigenen Weg zu bahnen. Mit Hilfe der richtigen Leute würde er vielleicht schon bald viel mehr erreichen, als irgendwer sich hätte träumen lassen. Und das hieß, den eigenen Stolz hinunterschlucken. Sich mit ihm auf eine Stufe stellen. Ihn vielleicht ein wenig anleiten und weiter voranbringen, als er es auf sich selbst gestellt geschafft hätte.
Wäre Nicholas älter gewesen, es hätte keine Frage gegeben. Die Neugier allein hätte Julius gehalten. So aber würde er erst einmal sehen müssen, ob er auf die Dauer Claes als den Ehemann der Demoiselle aushalten konnte. Aber einen Versuch war es wert. Auf jeden Fall.
Er drehte sich auf die Seite und war eingeschlafen, als Nicholas endlich kam. Es wäre ihm eine Genugtuung gewesen zu wissen, daß Gregorio daheim in Brügge lange vor ihm mit seinen Überlegungen zum gleichen Ergebnis gekommen war.
In diesem Jahr kamen die Galeeren früh nach Brügge. In der ersten Septemberwoche liefen sie unter blauem Himmel vor dem Hafen von Sluis ein, und die Menschenmenge auf der Landzunge sah zu, wie die hell leuchtenden, geblähten Segel eingeholt wurden. Schnurgerade zogen die Schiffe dann von den Mannschaften gerudert ihre Bahn zu den Liegeplätzen, ein Bild wie gemalt, Töne von Gold, Rot und Blau und blendendes Weiß.
In ihren Frachträumen führten sie Mastixharz, Elfenbein und braunen Zucker mit sich. Sie brachten in diesem Jahr Ingwer aus Damaskus und violetten Kamelott aus Zypern mit. Sie hatten vierzig Fässer Rosinen geladen. Wie immer Edelsteine: Rubine, Türkise, Diamanten und Staubperlen, die zerstoßen zur Herstellung von Arzneien verwendet wurden. Sie brachten Seiden Stoffe, Pigmente, weißes Zuckerwerk und dreißig Sack gute Baumwolle. Moiréseiden, die in Syrien verpackt waren. Astrachanfelle, die Messina geschickt hatte. Schwefel aus Sizilien, Porzellan aus Mallorca und Rosenwasser aus persischen Gärten. Sanktusglocken und Meßbücher, Notenbücher, Glasbecher in verschiedenen Farben, auch in Rosa. Sie brachten Indigo aus Bagdad, Galläpfel, Färberröte und Kermesrot. Dazu einhundertfünfzig Fässer Malvasier und, als Ballast, Alaun.
Jedermann wußte, daß der Kommodore in diesem Jahr ein venezianischer Edelmann namens Piero Zorzi war.
Marian de Charetty war mit der Familie und all ihren Untergebenen zur Ankunft der Schiffe wie immer in Brügge. Der Schwerpunkt ihrer geschäftlichen Tätigkeit lag mittlerweile in Brügge, denn seit sie in Löwen einen guten Mann hatte, verbrachte sie dort weniger Zeit als früher. Die ganze Stadt hatte darüber geredet, wie schlecht sie aussah, nachdem Felix im April fortgezogen war, und natürlich nach dem schrecklichen Brand. Einen Monat oder länger war sie nur ein Schatten ihrer selbst gewesen, bis endlich im Juni Nachricht kam, daß sich ihr Sohn wohlbehalten in Genf aufhielt, zusammen mit Nicholas, diesem jungen Halunken. Vier Wochen später war dann der Brief gekommen, mit Hilfe der Medici Nicholas, der Kerl, den sie geheiratet hatte, trieb sich irgendwo in Italien rum und würde wohl nicht zurückkehren, und ihr verhätschelter Felix, dem sie nicht einmal die Teilnahme am Turnier erlaubt hatte, war schnurstracks in den Krieg gezogen, runter gen Süden, nach Neapel, um für König Ferrante zu kämpfen.
Und wer hatte ihn dazu wohl angestachelt? Aber ob nun angestachelt oder nicht, was konnte sie schon erwarten, wenn sie die naturgegebenen Aufgaben der Frau vernachlässigte und sich einbildete, sie könnte ein Söldnerheer unterhalten. Früher oder später würde jeder Sohn, der auch nur einen Lanzenhieb wert war, in eine Rüstung steigen und zeigen wollen, was für ein Kerl er war. Sie hatte es sich ganz allein zuzuschreiben.
Trotzdem fehlte Claes. Ihr fehlte er wahrscheinlich auch, und seine Witze. Wenn nichts sonst.
Sie wußte natürlich, was geredet wurde. Die Arbeit und die Männer, die Nicholas ihr zur Seite gestellt hatte, waren ihr eine Hilfe. Gregorio war ihre rechte Hand. Aber auch auf Bellobras und
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