Niccolòs Aufstieg
geschlagen. Seine Euphorie verflog. Was zunächst wie göttliche Vergeltung ausgesehen hatte, entpuppte sich als Katastrophe. Nicholas, dessen Hände reglos auf dem Tisch lagen, musterte Pigello mit einem Blick, der sein ganzes kräftiges Gesicht wie eine einzige forschende Frage erscheinen ließ.
Julius wurde bewußt, daß eine Frage noch niemand gestellt hatte. »Was ist aus der Ehefrau de Fleurys geworden? Demoiselle Esota?«
Pigello Portinari wünschte, seine Unterlagen wieder einzupacken. Er schickte einen fragenden Blick in die Runde und begann dann ungehindert, die Papiere einzusammeln und säuberlich zu stapeln. »Das ist leider eine traurige Geschichte. Die Leute wollten ihr nichts Böses, aber die Dame war offenbar recht beleibt und leicht erregbar. Anstatt ruhig das Haus zu verlassen, versuchte sie, einigen den Weg zu versperren, und forderte andere auf, ihr zu helfen. Die Leute beachteten sie nicht und drängten sich an ihr vorbei. Sie wurde zu Boden gerissen und niedergetrampelt. Aber getötet hat sie ihr eigenes Körpergewicht. Kanntet Ihr sie?«
»Ja«, antwortete Nicholas. »Solchen Situationen war sie nicht gewachsen.«
Pigello sah ihn an. »Manch einer würde wohl sagen, ihr Mann hätte sie nicht im Stich lassen dürfen. Aber man soll niemanden verurteilen. Aus Furcht oder Gier tun Menschen die seltsamsten Dinge. Wir Bankiers wissen das. So. Was soll nun mit dem vorhandenen Vermögen geschehen?«
»Da muß Messer Julius raten und die Demoiselle zustimmen«, sagte Nicholas. »Aber ich schlage vor, die Faustfeuerwaffen bleiben in Piacenza, das Silber wird bei Messer Tani in Brügge hinterlegt und das Tuch wird von Euren Niederlassungen hier und in Genf verkauft. Der Erlös, abzüglich Eurer Provision, wird unserem hiesigen Konto bei Eurer Bank gutgeschrieben und steht Hauptmann Astorre zur freien Verfügung. Messer Julius?«
Messer Julius stimmte zu. Etwas anderes konnte er nicht tun. Kaum hatte er sich geäußert, da packten der Mailänder Medici- Geschäftsführer und sein Bruder ihre Listen ein und verabschiedeten sich in aller Form. Als Julius bemerkte, daß Nicholas keine Anstalten machte, das Zimmer zu verlassen, brachte er selbst die beiden Bankiers nach unten und begleitete sie über den Hof zu ihren Pferden. Draußen war es dunkel, und die Mauersegler hatten sich zur Ruhe begeben.
Als er auf dem Rückweg die letzte Treppenwendung nahm hörte er Glas splittern, unter seinem Fuß knirschten Scherben, als er das Zimmer betrat. Die Reste des Weinkrugs, der zum Glück leer gewesen war, lagen unter einem Fenster. Der ganze Boden glitzerte, so heftig war der Krug aufgeschlagen.
»Tut mir leid. Er ist mir runtergefallen«, sagte Nicholas. Er war so bleich wie früher, als er noch in der Färberei gearbeitet hatte, doch völlig unbewegt.
»Eine schöne Schweinerei«, sagte Julius. »Hättest du nicht soeben ein Vermögen gemacht, und wärst du nicht der Ehemann meiner Herrin, würde ich dich jetzt durchhauen. Da, jetzt kommt entweder Loppe oder der Wirt, der nachsehen will, ob wir ihm die Fenster eingeschlagen haben. Die Erklärung überlasse ich dir. Und sobald es hier wieder sauber ist, möchte ich wissen, was eigentlich vorgeht. In allen Einzelheiten!«
Aber dazu kam es nicht. Während Loppe stillschweigend die Scherben auffegte, ging Nicholas hinaus, um alles für den Aufbruch am folgenden Morgen vorzubereiten. Noch ehe er zurückkam, hatte Julius einen weiteren Krug Wein bestellt, einen aus Zinn diesmal, und feierte ganz privat, bis er in sein Bett fiel.
Dort lag er eine Weile und dachte nach. Es war leicht, sich über einen jungen Grünschnabel zu amüsieren, der dreist genug war, seine Herrin zu heiraten. Mit oder unter diesem Grünschnabel zu arbeiten, war etwas ganz anderes. Tobias’ Art des Umgangs mit Nicholas hätte ihn warnen müssen. Wenn er sich ihnen bei diesem neuen Unternehmen anschließen wollte, würde er Nicholas als den akzeptieren müssen, als den Portinari ihn bezeichnet hatte - einen gleichgestellten collega.
Beim Aufbruch aus den Abruzzen war er bereit gewesen, jede Aufgabe zu übernehmen, jedenfalls solange das Heer nicht kämpfte. Nicholas, der anfangs noch schnell ermüdete, hatte ein Gespräch über das Unternehmen immer wieder aufgeschoben, aber Julius war sicher, daß er vor ihrer Ankunft in Brügge alles erfahren würde. Nach dem, was er im Lauf des Abends beobachtet hatte, mußte es eine einträgliche Angelegenheit sein. Er wußte, daß Nicholas ein
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