Niccolòs Aufstieg
Fleury, hatte Cornelis den Betrieb übernommen und wieder auf die Beine gebracht. Er hatte sie mit geschäftlichen Dingen nie belastet. Sie war für die Kinder und den Haushalt dagewesen.
Und so wäre es heute noch, wäre Cornelis am Leben. Natürlich war sie manchmal einsam. So wie heute abend. Nur Tilde und Catherine hatten Felix so gekannt wie sie, und sie waren beide zu jung, um sie zu trösten. Genauso Felix’ Freunde. Margriet Adorne fiel ihr plötzlich ein, und sie war dankbar. Sie hatte doch Freunde, Freunde in ihrem Alter, die sie verstehen würden. Morgen. Erst mußte die heutige Nacht durchlitten werden.
In Felix’ Zimmer stand eine Truhe mit seinen Besitztümern, daneben lag ein Helm mit rotem Federbusch und Adlerkopf. Sie selbst hatte ihn gefunden. Wer immer ihn dort hingelegt hatte, hatte ihn nicht eingesperrt. Die älteren Leute in ihrem Haus behandelten sie als reife Frau, die einer Krise standhalten und um Hilfe bitten konnte, wenn sie welche brauchte. Ihr wurde bewußt, daß den ganzen Tag jemand in ihrer Nähe gewesen war, ganz gleich, was sie gerade tat. Schweigend, selten im selben Raum, aber in der Nähe. Meistens Nicholas.
Bis zu diesem Augenblick hatte sie kaum an Nicholas gedacht. Sie hatte ihn vermißt, als er fort gewesen war. Seine Stärke und sein Verständnis. Im stillen hatte sie ihm vorgeworfen, sie und das Geschäft im Stich gelassen zu haben, genau wie sie das früher Cornelis vorgeworfen hatte, wenn er nach Antwerpen gereist war und ihr irgendwelche Entscheidungen überlassen hatte.
Aus den gleichen Gründen hatte sie ihn zurückgewünscht. Nein. Sie hatte sich diese lose Gemeinschaft mit ihm zurückgewünscht, die ihre tägliche Freude geworden war. Sie wußte nicht, ob auch er diese Freude empfand. Aber sie wußte, daß er sein Interesse für Geschäfte entdeckt hatte und damit experimentierte.
Und woran dachte er heute abend? Er war an Felix’ Seite gewesen. Er hatte von seinem Tod nicht draußen auf dem ehemaligen Hof der Färberei erfahren, zwischen Wollkappen, schmutzigen Gesichtern und stinkenden Schürzen. Er hatte seinen Anteil an Felix’ Tod. Nicht Mitgefühl allein, auch Schuldbewußtsein hatte ihn getrieben, Julius diese halsbrecherische Reise zuzumuten, um ihr die Nachricht möglichst schonend beizubringen.
Statt dessen hatte seine Ankunft dazu geführt, daß sie auf grausamste Weise vom Tod ihres Sohnes erfahren hatte. Ganz gleich, was er von Esota hielt, er hatte unterwegs von ihrem Tod erfahren. Und von Jaak de Fleurys Bankrott. Er hatte bei den beiden gelebt und alle Grausamkeit offenbar ohne Verbitterung überstanden. Es war nicht seine Schuld, daß Jaak de Fleury tot war, Lionetto hatte ihn getötet. Aber heute hatte er erkannt, daß sein Leben und sein Glück Jaak nichts bedeutet hatten. Und heute hatte er getötet. Nicholas, der mit roten Striemen auf dem Rücken reuig, aber heiter aus dem Steen zu kommen pflegte, hatte zwei Menschen getötet.
Aber so war das. Kein Mann, der in den Krieg zog, blieb der, der er vorher war. Nicholas hatte das Töten gelernt. Und Felix ebenso. Einer von ihnen hatte dafür bezahlt.
Sie blieb lange in Gedanken. Im Haus war es still. Die Tür zu dem schönen Zimmer weiter unten im Flur, das Jaak de Fleury für sich beansprucht hatte, war abgesperrt, seine Besitztümer warteten in Stapeln in dem leeren Raum. Ein Stück weiter lag das Zimmer, das Nicholas sich ausgesucht hatte, als er und Gregorio vor dem Brand hier ihr Kontor eingerichtet hatten. Es drang kein Licht heraus, aber die Tür war offen.
Sie war offen gewesen, als sie an ihr vorübergekommen war. Sie wußte, warum. Er war der Mann, der ihr Felix genommen hatte. Er war ihr Ehemann. Er war beides nicht. Er hatte in diesem tragischen Stück keine Rolle, wenn sie ihm nicht eine zuteilte.
Wollte sie das? Ihre Gedanken waren an diesem Abend bei ihrer Familie, bei Cornelis und Felix, Tilde und Catherine. Nicholas gehörte nicht zu diesem kleinen, festgefügten Kreis, auch wenn sie ihn schon sehr lange kannte. Ihn hineinzulassen wäre so etwas wie Verrat. Für Felix war er gewesen, was auch Julius diesem gewesen war, ein älterer Gefährte, von dem er gelernt hatte. Für Cornelis war er ein Lehrling gewesen. Ihr hatte er sich als idealer Helfer gezeigt, treu, fleißig und achtsam.
Draußen auf der Straße ging jemand mit einer Laterne vorbei. Der schmale Lichtstrahl strich durch ihre Kammer und warf zitternde Rauten auf ihre Hände und ihr Nachtgewand. Ihr Haar das in
Weitere Kostenlose Bücher