Niccolòs Aufstieg
hatte und neben Fleisch und Bier manchen deftigen Witze mit seinen Kumpanen geteilt hatte, verteidigte er sich nun mit dem Schwert und flinken Sprüngen, so gut er konnte, gegen den Großonkel, der ihn töten wollte.
Der dreißig Jahre älter war als er.
Du würdest gern gegen ihn kämpfen? Ihn besiegen? Überwältigen?, hatte Marian de Charetty einmal gesagt.
Und er hatte geantwortet: Ich habe Angst vor ihm, ich werde immer Angst vor ihm haben.
Es war die Wahrheit. Die Angst, die ihm als Kind eingeprügelt worden war, würde niemals aufhören.
Aber weder die Strapazen dieser traurigen Heimreise noch die Tatsache, daß Jaak de Fleury ein Mann von ungeheurer Körperkraft war, der mit der Waffe umzugehen wußte, konnten etwas daran ändern, daß Nicholas dreißig Jahre jünger und erst kürzlich bei einem hervorragenden Fechtmeister in die Lehre gegangen war. Doch was bedeutete das? Wenn er Jaak de Fleury tötete, tötete er einen Verwandten, jemanden aus der eigenen Familie. Und die Angst blieb unbesiegt.
Er parierte und parierte wieder. Er wußte nicht, was er tun sollte.
Jaak de Fleury, rot und schweißnaß im Gesicht, bemerkte es und lächelte schweratmend. Er tänzelte, wendig und kraftvoll. Er focht ohne seinen Rock, breitschultrig in seinem prächtigen Wams. Unter den weiten Ärmeln seines seidenen Hemds zeichneten sich die mächtigen Muskeln seiner Oberarme ab, und die Edelsteine an seinem hohen Kragen funkelten. Immer wieder stach er zu. Immer wieder parierte Nicholas.
Aus dem zerstörten Haus hinter ihnen erreichte sie lautes Geschrei, das rasch näher kam und noch lauter wurde. Jaak de Fleury schaute sich um. Auch Nicholas warf einen schnellen Blick über die Schulter.
Mit flatterndem roten Haar stürmte da Lionetto aus den Trümmern hervor. Lionetto! Ihm hinterher flogen Julius und Gregorio, schon die Schwerter ziehend.
Wie hatten sie ihn gefunden?
Das Pferd.
Was um alles in der Welt hatte Lionetto hier zu suchen? Ganz einfach. Er suchte Nicholas. Lionetto hatte guten Grund, ihn ebenfalls töten zu wollen. Nicholas hatte nur nicht gewußt, daß er es wußte…
Er konnte es nicht mit zwei Gegnern aufnehmen. Er war nicht geübt genug, um Lionetto Widerpart zu bieten, schon gar nicht, wenn der de Fleury zur Seite hatte. Und Julius und Gregorio würden ihn nicht rechtzeitig erreichen, auch wenn sie noch so schnell liefen. Er würde sterben. Nicht durch eine Tracht Prügel. Durch das, was einem in der Erwachsenenwelt statt einer Tracht Prügel blühte, wenn man es zu weit trieb.
»Verräter!« brüllte Lionetto. » Hurensohn! Dreckiger Schuft! Einem ehrlichen Söldner das Geld stehlen! Sein Vertrauen mißbrauchen! Ihn um sein Geld erleichtern und verraten! Aber nicht mit mir, verstehst du! Nicht mit Lionetto.«
Mit gezogenem Schwert machte Lionetto halt, der dritte Punkt eines Dreiecks, das von ihm, Nicholas und Jaak de Fleury gebildet wurde. De Fleury löste seine Klinge vom gegnerischen Schwert und trat ein wenig zurück, ohne Nicholas aus dem Auge zu lassen. Nicholas beobachtete Lionetto.
Der jedoch sah nur Jaak de Fleury. »Ich hab’s nicht glauben wollen. Nichts als Gerüchte, hab ich gesagt. Aber dann wollte ich doch sichergehen, ich hatte Euch schließlich einen Haufen Geld geschickt. Das Geld vom Papst. Den Erlös aus den Beutezügen. Und dann war Eure Vertretung in Mailand geschlossen und Euer Mann Maffino abgehauen. Kein Geld. Nicht ein Groschen für Lionetto.« Er lächelte. Seine geblähte Nase leuchtete rot in dem pockennarbigen Gesicht. »Also wollte ich mir wenigstens das Geld in Genf holen. Alles, meine ganzen Ersparnisse hatte ich dort liegen. Und was höre ich? Auch alles weg. Und warum?«
Seine Stimme war sanft, aber im Moment der Frage schnellte sein rechter Arm vor. Blut quoll aus Jaak de Fleurys Schulter, der Mann stieß einen Schrei aus und sprang mit erhobenem Schwert zurück.
Lionetto senkte das seine mit kunstgerechter Geste. »Warum? Der Herzog von Savoyen soll Jaak de Fleury befohlen haben, ihm Lionettos gesamte Ersparnisse zu übergeben. Haben sie mir jedenfalls erzählt. Wollten sie mir weismachen. Aber wenn hier einer glaubt, Lionetto wäre von gestern, irrt er sich gewaltig.«
Wieder blitzte sein Schwert auf. Kreiselnd umtanzte es die hastig hochgerissene Waffe de Fleurys und traf den Arm des Kaufmanns. »Ich glaube, Ihr habt mein ganzes Geld.«
Jaak de Fleurys rotes Gesicht hatte einen Ton angenommen, als hätte man dem Rot einen Becher verdünntes blaues
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