Niccolòs Aufstieg
ihm der beunruhigende dunkle Blick zuweilen mehr als reinen Sachverstand zu spiegeln, aber als er erfuhr, daß Gregorio eine Geliebte namens Margot hatte, erkannte er, daß er wie alle anderen war. Obendrein kochte die Frau hervorragend. Er fragte sich nur, warum er sich, als Gregorio ihn spontan einlud, des Eindrucks nicht erwehren konnte, daß sich Gregorio im stillen köstlich amüsierte.
In Brügge war Nicholas natürlich der Held des Tages. Jetzt wußte jeder, was für ein Schurke Jaak de Fleury gewesen war. Einige wollten gleich Verdacht geschöpft haben, als der Mann hier so plötzlich aufgetaucht war und sich im Unternehmen der Demoiselle gebärdet hatte, als gehörte es ihm. Nicholas und Julius verfügten über Fakten und Zahlen, die bewiesen, daß dem nicht so war und der Schuft die arme Witwe obendrein seit Jahren betrogen hatte. Und Felix’ ehemalige Diener erklärten auf Befragen gern, wie und warum Nicholas in Genf den Sohn der Demoiselle den Fängen Monsieur Jaaks entrissen hatte und wie gut die beiden jungen Männer sich danach verstanden hatten.
Alle bedauerten natürlich Felix’ Tod und waren sich darin einig, daß Stadt und Familie stolz sein konnten auf diesen Sohn, der für König Ferrante in den Kampf gezogen war und bei einem großen Turnier in den Abruzzen den Lorbeer errungen hatte. Schade nur, daß es nicht hier gewesen war, wo seine Freunde ihm hätten zujubeln können. Aber wenn schon einer so jung sein Leben lassen mußte, gab es dann einen würdigeren Tod?
Und was Nicholas anging, der früher Claes gewesen war - wer hätte das gedacht? Hielt zwei Bewaffneten stand, tötete sie und lieferte sich dann mit diesem Banditen de Fleury einen Kampf auf Leben und Tod, auch wenn der am Ende von einem anderen bezwungen wurde. Und so aufmerksam zu seiner Ehefrau, es war kaum zu glauben! So großzügig zu ihr mit dem Geld, das er in Italien erworben hatte! Man brauchte nur zu hören, was er ihr den Sommer über an Kreditbriefen geschickt hatte! Sie hatte alle ihre Schulden bezahlen und ihre beiden Töchter auch noch mit einer ordentlichen Mitgift ausstatten können. Wirklich ein braver Bursche, dieser Nicholas.
Der einzige, der in diese Loblieder nicht einstimmen wollte, war Nicholas. Einen Morgen lang ließ er wie betäubt Glückwünsche und herzhafte Klapse auf den verbundenen Rücken über sich ergehen, dann flüchtete er sich verzweifelt in die Arbeit. Julius und Gregorio unterstützten ihn ohne Murren in den endlosen Stunden im Kontor und bei einer Folge harter Verhandlungen. Entscheidungen Jaak de Fleurys wurden korrigiert oder aufgehoben. Der Kurierdienst wurde unter die Lupe genommen und neu organisiert. Alles, was Gregorio seit April unternommen hatte, wurde durchgegangen und gründlich besprochen, auch die Einkaufslisten für die Flandern-Galeeren. Und es begannen die alles entscheidenden Besprechungen mit Bembo und den venezianischen Kaufleuten.
Innerhalb einer Woche sollte aus Venedig die Zustimmung zum Erwerb der vereinbarten Menge Alaun von den Flandern- Galeeren durch das Haus Charetty und die Genueser Kaufleute eintreffen. Da der begehrte Stoff nur als Ballast diente, war es keine große Menge. Aber es wurde damit eine feste Regel geschaffen: Das nächste Handelsschiff, das mit Massengutladung aus Konstantinopel kam, würde den Brügger Hafen anlaufen, und die neuen Lagerhäuser des Hauses Charetty würden sich langsam füllen. Selbst wenn das neue Alaunlager schon morgen entdeckt werden sollte …
Die einzigen in Brügge, denen der neue Claes nicht gefiel, waren die Mädchen, für die er früher so viel Zeit gehabt hatte. Sie hatten offenbar gehofft, er würde der Witwe überdrüssig werden und sein Interesse wieder ihnen zuwenden. Einmal grüßte Julius auf der Straße eine Gruppe vornehmer Bekannter aus Veere, mit denen er sich auf gutem Fuß glaubte, bis er den haßerfüllten Blick eines pummeligen kleinen Mädchens bemerkte, das seiner Erinnerung nach die jüngere van-Borselen-Tochter war. Nicholas, dem der Blick galt, reagierte, wie er es in letzter Zeit häufig tat, mit völliger Ausdruckslosigkeit. Die Zeiten, da man nur dem allgemeinen Gelächter nachzugehen brauchte, um Nicholas zu finden, waren vorbei. Aber Lachen wäre in Anbetracht von Felix’ Schicksal ja auch nicht angebracht gewesen.
Dann traf eines Tages der kahlköpfige Doktor Tobias aus den Abruzzen ein, nachdem er offenbar den Grafen Federigo und all jene seiner Soldaten, bei denen Behandlung noch
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