Niccolòs Aufstieg
unbewegt dabeigesessen und kein Wort gesagt hatte; vom Fieber ausgelaugt, hatte er - Julius - geglaubt. »Nein«, sagte er und fügte hinzu: »Aber den Tod von Demoiselle Esota wollte er gewiß nicht.«
»Den de Fleurys auch nicht, wenn Ihr mich fragt«, warf Gregorio unerwartet ein. »Er hat bei diesem Kampf immer nur pariert.«
Julius sagte nichts. Was bewies schon mangelnde Körperkraft nach einer anstrengenden Reise und der Tötung zweier Männer? War es möglich? War es möglich, daß nach all seinen Ermahnungen Nicholas diese Art der Vergeltung, diesen heimtückischen Weg der Vernichtung gewählt hatte, um sich zu behaupten? Nach einem langen Schweigen sagte Julius: »Er hat Astorre geschützt. Er hätte auch Astorres Geld in Genf lassen können.«
»Vielleicht braucht er Astorre«, meinte Tobias. »Felix hat er nicht geschützt.«
»Nein!« rief Julius heftig. »Das glaube ich nicht!«
»Und er brauchte die Demoiselle«, fuhr Tobias fort, als hätte Julius nicht gesprochen. »Jedenfalls für den Anfang. Genau wie er uns für den Anfang braucht.«
»Augenblick!« sagte Gregorio. »Das geht zu weit. Ich kenne Nicholas nicht gut, aber ich bin überzeugt, er hat die Demoiselle und ihren Sohn wirklich geliebt. In der vergangenen Woche konnte er seine Gefühle nicht verhehlen. Julius wird das bestätigen.«
»Das ist wahr, ja«, sagte Julius. »Lieber Gott, Tobias, Ihr habt ihn in San Fabiano selbst gesehen. Das war doch nicht nur das Fieber! Ich war bei ihm, als er vom Ausmaß der Katastrophe in Genf erfuhr. Er hat auf der ganzen Rückreise nach Brügge kaum ein Wort gesprochen, und er hat die Sache immer noch nicht verwunden. Wie könnte er so erschüttert sein, wenn er das Ungeheuer wäre, von dem Ihr sprecht?«
»Reue?« meinte Tobias. »Er ist noch keine zwanzig. Es war seine erste Übung. Bei der nächsten wird er wahrscheinlich schon viel sauberer arbeiten. Die Frage ist, wollen wir solange warten? Ein andermal trifft es vielleicht einen oder alle von uns. Absichtlich - oder versehentlich, wenn wir Zweifel zu seinen Gunsten gelten lassen wollen. Ich hielt ihn anfangs für einen harmlosen Burschen, der mit außergewöhnlichen Fähigkeiten geschlagen ist und nicht weiß, was er damit anfangen soll. Ich dachte, wir, Ihr und ich, könnten ihn in Schach halten. Aber es könnte sein, daß er gar nicht so harmlos ist. Es könnte sein, daß er genau weiß, was er will, und entschlossen ist, es auf seine Weise zu erreichen.«
Es wurde still. Julius wollte nichts sagen. Er schob auf dem Tisch seine Hände zusammen und konnte sich einfach nicht vorstellen, daß Nicholas so ein Mensch sein sollte. Und konnte es dann plötzlich doch, ganz leicht.
»Aber einen sicheren Beweis gibt es nicht?« fragte Gregorio.
»Der wäre höchstens über ein Gespräch mit dem Dauphin oder dem Herzog von Mailand zu haben, die wohl kaum etwas dazu sagen werden«, meinte Tobias.
»Was wollt Ihr tun?« fragte Julius ihn.
Tobias saß da mit nachdenklich geschürzten Lippen, den Blick auf die Wand gegenüber gerichtet. Er öffnete den Mund. Dann nieste er plötzlich.
»Gesundheit«, sagte Julius.
Zu seiner Überraschung wurde Tobias rot. Dann sagte er schroff: »Ich bleibe. Ich bin ziemlich sicher, daß ich ihn überlisten kann, wenn er wirklich schon auf dem bösen Weg ist. Wenn nicht, kann ich ihn vielleicht davon abhalten, ihn einzuschlagen, Ich glaube nicht, daß wir im Moment in Gefahr sind. Er braucht uns. Aber eins werde ich auf jeden Fall tun, ich werde Marian de Charetty warnen.«
»Ich bleibe auch«, sagte Julius und fügte hinzu: »Vielleicht weiß die Demoiselle alles.«
Der Blick der hellen Augen kehrte zu ihm zurück. »Und deshalb ist er … Nein, sie hätte sich Jaak de Fleury gegenüber anders verhalten. Goro?«
»Nein«, sagte Gregorio. »Ich bin überzeugt, sie weiß nicht, wie de Fleury und Lionetto hereingelegt wurden. Sie hätte ihm so etwas nicht erlaubt. Sie ist eine ehrenwerte Frau. Ich werde bleiben. Ganz unschuldig wird er nicht sein. Aber ich glaube nicht, daß er ein schlechter Mensch ist.«
»Jedenfalls noch nicht«, sagte Tobias. »Nur interessehalber: Hat Jaak de Fleury die Färberei niederbrennen lassen?«
»Nicht daß ich wüßte«, antwortete Gregorio. »Wir haben den Schotten dort ertappt, Simon.«
»Sie hat also vielleicht nicht nur einen Feind«, stellte Tobias fest. »Ich habe eine Idee. Sorgen wir doch dafür, daß sie sich gegenseitig an die Gurgel gehen«
»Das tun sie schon«,
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