Niccolòs Aufstieg
hatte, war das braune Haar schweißfeucht, die Locken lagen in strähnigen Korkenziehern flach an den Kopf gedrückt, und Felix war wütend.
»Du hast doch selbst gesagt, daß du die Feder satt hast«, bemerkte Claes. »Es ist Zeit für das Bier, Meester Julius.«
Claes, der seit seinem zehnten Lebensjahr bei den Charettys lebte und, wenn auch außerehelich geboren, gewissermaßen zur Familie gehörte, hatte sich angewöhnt, in diesem Ton mit Felix zu sprechen. Er war nicht nur Lehrling in der Färberei, er war im Lauf der Jahre auch so etwas wie ein Diener und Gefährte des Charetty-Erben geworden. Felix versuchte zwar hin und wieder, sich mit Claes anzulegen, meist aber ließ er ihm sein Verhalten durchgehen. Dankbar für diesen Frieden erließ Felix’ Mutter Claes die Arbeit in der Färberei, wann immer ihr Sohn es verlangte. Und auch Julius war dankbar und hoffte, Claes’ unregelmäßige Lehrzeit werde sich hinziehen, bis Felix erwachsen, wenn möglich sogar bis er alt und grau geworden war.
Julius, ein Mann von gelassenem Wesen, hatte im Grunde nichts gegen Jongeheer Felix. Er konnte ihm Weisungen erteilen. Claes hingegen konnte niemandem Weisungen erteilen; genau darum wurde er so oft verprügelt. Was ihn ausgesprochen hilfsbereit machte. Julius beobachtete, wie er nach einem letzten Schlag sein Ruder niederlegte, zum Heck des Boots ging und Felix seinen Hut reichte. Wenn man an Claes dachte, fielen einem vor allem seine körperliche Größe, die Grübchen in seinen Wangen und seine Hilfsbereitschaft ein. Und daß keine Frau unter zwanzig vor seinen Nachstellungen sicher war.
Julius beobachtete die Bewegungen seines Mundes, als er vor dem Badebassin stehend etwas sagte, und hörte Felix von drinnen eine Antwort brüllen. Er beteiligte sich nicht an der üblichen Diskussion. Natürlich hatte auch er nichts gegen den Anblick einer schönen Frau. Er war nicht frei von Eitelkeit und wußte, daß er mit seinem Aussehen Aufmerksamkeit auf sich zog. Mehr als einmal hatte er sich aus Verstrickungen herauswinden müssen, die mit der jungen Ehefrau eines Kunden zu tun hatten. Er hatte allerdings auch nicht vor, in den geistlichen Stand zu treten, bislang jedenfalls nicht. Man sollte als Mann eine gute Gelegenheit ergreifen, wenn sie sich bot. Er war maßvoll, nicht gierig wie Claes; und er glühte nicht gleich vor Sehnsucht wie der arme Felix, wenn er auf der Drei-Meilen-Fahrt auf dem Kanal zwischen Sluis und Damme eine Parade mehr oder minder schlanker Fesseln oder, mit etwas Glück, gar ein paar runde Knie zu sehen bekam.
Noch dazu solche, die erreichbar waren. An den Kais, zwischen Schuppen, Lagerhäusern, Speichern und Pollern, der beiden Häfen von Brügge fand man keine vornehmen Damen mit ausrasiertem Stirnhaar, hohen kegelförmigen Spitzhauben und perlenbestickten Schuhen. Dafür gab es kecke weiße Hauben und verstohlen geraffte Werktagsröcke in so großer Zahl zu sehen, daß selbst Claes zufrieden war. Die muntersten Mädchen riefen dem einen oder anderen jungen Mann etwas zu, laute Männerstimmen ließen sich vernehmen, Jungen liefen das Ufer entlang und versuchten, mit den Ruderern Schritt zu halten. Einer warf einen Stein in das Bassin und erzeugte damit einen Klang wie vom Klöppel einer Kirchenglocke, der allerdings in seinem eigenen Geheul unterging, als sein Vater ihm prompt eine Ohrfeige verpaßte. Ganz gleich, ob er sich gerade in Brüssel, Dijon oder Lille aufhielt, Herzog Philipp hörte alles.
Claes blieb bei Felix stehen. Felix schwenkte gebieterisch seinen Hut, dessen Feder sich Claes geschnappt hatte. Drei Fuß lang, wippte sie auf seinem Schopf wie eine Angelrute. Auf der anderen Seite des Boots half Julius, die Taue zur Schleuse emporzuwerfen, und hievte die vorgeschriebene Kanne Brügger Bier zum Schleusenwärter hinauf.
Der Mann warf ihm einen zweiten Blick zu, und erst da erkannte er ihn. Ohne Talar war er nicht Meester Julius, der Rechtskonsulent, sondern lediglich einer dieser jungen Flegel in den Zwanzigern. In vernünftigen Momenten war Julius sich bewußt, daß Eskapaden wie diese sich für ihn nicht schickten. In weniger vernünftigen Momenten war es ihm egal.
Felix und Claes erkannte der Schleusenwärter auf den ersten Blick. Jeder in Brügge und Löwen kannte den Charetty-Erben und seinen treuergebenen Gefährten.
Es waren sonst keine Schiffe in der Schleuse; auch dies ein Zeichen der Macht des Herzogs. Der Leichter fuhr ein, und hinter ihm schloß sich knarrend das Tor.
Weitere Kostenlose Bücher