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Niccolòs Aufstieg

Titel: Niccolòs Aufstieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Dunnett
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»Nein, nein. Er will nur wieder nach dem Strauß sehen.« In seinem Auge blitzte es.
    »Wieder?«
    »Er schaut sich den Kot an.« Jetzt blitzte es in beiden Augen.
    Mit einer Riesenanstrengung verbannte Nicholas alle anderen Gedanken in den Hintergrund. »Messer Tommaso spielt Arzt?«
    Der Junge grinste. »Nein. Er schaut sich den Kot nur an, weil der Strauß einen Edelstein von seinem Hut und zwei Ringe von ihm gefressen hat.«
    »Ich dachte, es gehöre zu den Aufgaben eines giovane, seinem Herrn bei solchen Schwierigkeiten zu helfen«, sagte Nicholas.
    Der Junge warf ihm einen raschen Blick zu, dann lachte er erleichtert. »Am ersten Tag hat er’s mich machen lassen. Aber er fand, ich wäre nicht gründlich genug.«
    »Der arme Messer Tommaso. Wie wär’s, wenn wir beide zu ihm gehen und ihm helfen? Wir könnten seinen Rock halten. Er zieht ihn doch sicher aus?«
    »Einer von den Stallknechten gibt ihm eine Schürze«, berichtete der Junge, »Aber sie sagen, die Ringe könnten auch ewig im Bauch von dem Strauß bleiben.«
    »Oder als verspätetes Zusatzgeschenk für den Herzog von Mailand zum Vorschein kommen«, meinte Nicholas auf dem Weg zu den Stallungen. »Aber geht es dem Tier besser?«
    »Ja, so heißt es. Habt Ihr das mit den Schalentieren gehört?«
    »Ja. Wer um Himmels willen hat ihn mit Schalentieren gefüttert?«
    »Die hat er sich selbst gesucht«, erklärte der Junge. »Als er vom Schiffswrack an Land gepatscht ist. Danach hat er ein ganzes Getreidefeld kahlgefressen, ehe sie ihn einfangen konnten. Er läuft unheimlich schnell. Sie haben acht Reiter gebraucht, um ihn einzufangen, denn sie mußten achtgeben, daß sie seine Federn nicht beschädigen. Er mag gern kleine Vögel.«
    »Das klingt doch ganz sympathisch.«
    »Als Futter. Und Insekten. Und Gras. Sie können ihn nicht aus seinem Reisekäfig herauslassen, weil er sonst den Pferden das ganze Futter wegfrißt. Er hat einen ellenlangen Hals. Und lange Beine. Wenn Messer Tommaso in den Käfig schauen will, schlägt er aus.«
    »Wie hat er - wie ist er an die Ringe gekommen?« fragte Nicholas. Sie waren in den Hof hinausgetreten. Von den Ställen her waren dumpfe Schläge zu hören und tiefes, volltönendes Gebrüll. »Das ist doch nicht der Vogel?« fragte Nicholas.
    »Doch, das ist der Strauß. Er brüllt, wenn er wütend ist. Wenn er Messer Tommaso sieht, faucht er meistens. Manchmal schnattert er auch, und es hört sich an wie Lachen. Die Ringe sind abgegangen, als er die Hände zu schnell vom Gitter zurückgerissen hat.«
    »Da hat er wohl gelacht?« meinte Nicholas. »Ist das der Stall? Den Pferden scheint ja nichts zu fehlen. Und das der Reisekäfig? Der ist wirklich groß.«
    »Es ist auch ein großer Vogel«, sagte der Junge, »Bis zum Schwanz fünf Fuß und bis zum Kopf acht. Ein Hahn. Das erkennt man am schwarzweißen Gefieder. Das ist das wertvolle an ihm. Die schwarzen und weißen Federn.«
    Tommaso Portinari interessierte sich im Augenblick nicht für den Strauß und dessen Kot. Er hatte noch nicht einmal seinen Rock mit der Lederschürze vertauscht, die er in Händen hielt, sondern stand mit dem Rücken an einen Pfosten gelehnt da und starrte zu seinen Fußspitzen hinunter. Mit Anstrengung hob er den Kopf, sehr edel in seinem Leiden. Und bleich. Das Haar, das ihm rund geschnitten in die Stirn und über die Ohrenspitzen fiel, umrahmte dunkel das Antilopengesicht mit der langen Nase, den schöngeschwungenen Brauen und den hohen Wangenknochen. Seine Miene sprach von unerträglicher Qual.
    »Eure Stiefel!« rief Nicholas. »Hat er Eure Stiefel gefressen?«
    Tommaso Portinari drehte nur den Kopf und nickte zum Käfig hin, einer äußerst stabilen Konstruktion, einem so mächtigen Vogel angemessen. Die massiven Wände hatten Fenster, oben war ein Gitter. Von dem Kasten, der eine ganze Pferdebox einnahm, ging ein Geruch nach faulenden Früchten, zerdrücktem Gras und Vogel Strauß aus. Nicholas sprang an der Boxenwand hoch und hockte sich rittlings darauf, um den weitgereisten Gefangenen zu betrachten. Dann begann er zu lachen.
    Das war der Moment, als Julius aus dem Hof in das Stallgebäude trat, nachdem er sich unter vielerlei Bedenken aufgemacht hatte, einen gewissen Nicholas de St. Pol aufzuspüren, der immer noch mit der Frau verheiratet war, bei der er selbst in Lohn und Brot stand. Er rechnete damit, ihn in Verzweiflung anzutreffen. Statt dessen hörte er Claes’ brüllendes Gelächter, ein furchtbares Geräusch, das ihn in der

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