Niccolòs Aufstieg
weit hatte kommen lassen, der Dummkopf. Denn auch wenn das Wasser den schlimmsten Gestank wegspülte, so blieb doch mehr als genug an ihm haften. Die Tiere der ganzen Stadt würden ihn am Ufer erwarten. Und der schottische Edelmann Simon, der ruhig und mühelos hinter ihm schwamm, würde den Lehrling nicht retten. Nicht nach allem, was geschehen war.
Simon langte kurz nach den Hunden bei der Brücke an. In das laute Gebell mischte sich das Klappern von Fensterläden, die einer nach dem anderen aufgeschlagen wurden. Das Licht aus den hellen Fenstervierecken fiel auf die am oberen Ende der Treppe knurrende und kläffende Hundemeute und den Lehrling, der sich halb aus dem Wasser gehievt hatte und am Fuß der Treppe zögerte.
Auch Männer waren zu sehen, unter ihnen jedoch keine, die dem Bürgerstand angehörten, wie an ihren im Licht sichtbaren Abzeichen zu erkennen war. Es war eine zufällig vorbeiziehende Gruppe hondesagers, die von der Stadt bezahlt wurden, damit sie streunende Hunde aufgriffen. Freundlicherweise verscheuchten sie die Hunde mit Schlägen und hielten sie von Claes fern. Das erboste den schottischen Lord, das sah man. Da er befürchtete, der Bursche könnte entkommen, machte er ein paar schnelle Züge, packte zu und verdrehte dem Jungen den Fuß. Dieser verlor das Gleichgewicht und schlug im Fallen mit den Schultern auf den Stufen auf. Er schrie. Die Hunde, durch den jetzt doppelt so starken Gestank wild geworden, rissen sich los und stürzten sich auf die beiden Männer, von denen der eine aufrecht stand, der andere am Boden lag. Hundekrallen rissen dem Edelmann das Wams auf, und er zückte sein Messer. Die Männer gingen mit ihren bleiverstärkten Knüppeln zum Angriff über und schlugen die auf jaulenden Hunde in die Flucht. Zu drei Vierteln nackt, rappelte sich der Lehrling auf. Hinter ihm richtete sich der schottische Edelmann auf.
Die Kaufleute, die jetzt mit ihren Laternen herbeigerannt kamen, wußten nicht, was in Simons Kopf vorging. Zum Teil hatten sie es wohl erraten, und Claes konnte sich den Rest möglicherweise denken. Der Nachhall vergessener, nagender Verletzungen. Erinnerungen, zu denen auch Mabelies schüchtern einladendes Lächeln und ihr aufgeblühter Körper zählten. Das freche Verhalten am Ufer in Damme. Die schneidende Stimme (von der allerdings weder die Kaufleute noch Claes wußten) dieser schamlosen van Borselen: Niemand, den Ihr fürchten müßtet. Und all die anderen, gemeinen Worte, die sie wiederholt und die, wie Simon nun wußte, dieser boshafte junge Kerl hier gesagt hatte. Und die dieser vorhin aus reinem Übermut und in der festen Überzeugung, Simon wüßte sowieso nichts davon, erneut benutzt hatte.
Er hielt immer noch das Messer und hatte vor, es zu benutzen.
Gerade als Simon ausholte, drehte Claes sich um. Zu spät, um auszuweichen, von Männern und Hunden behindert. Er schnappte sich die einzige Waffe, die er sah, den bleiverstärkten Knüppel seines Nebenmannes, und parierte damit diesen wie auch den nächsten Stoß. Und schwenkte ihn weiterhin wie wild um sich.
In der allgemeinen Rauferei zog das Duell weiter keine Aufmerksamkeit auf sich. Die hondeslagers nutzten das Durcheinander und schlugen munter drauflos, und wenn ein Hund entwischte, hatte er Glück. Überall am Kai und die halbe Brücke hinauf lagen Hundekadaver, deren Felle und Fett Geld genug für vierzehn Tage Bier bringen würden. Schwankende Laternen schlugen gegeneinander, während die Kaufleute lachend und rufend bald hierhin, bald dorthin stolperten, bis das Getümmel nachließ, die letzten Hunde beseitigt waren und selbst der Zweikampf im Zentrum erlahmte. Kaum daß sie es gewahr wurden, als er ganz aufhörte. Als sie endlich auf die Idee kamen, sich nach der Ursache all des Aufruhrs umzusehen, fanden sie nur noch den schönen Simon, allein und wütend.
Claes war irgendwie entwischt. Er war wie vom Erdboden verschluckt.
Schade eigentlich. Aber er hatte ihnen Spaß genug geliefert. Und der edle Simon auch, der tropfnaß war und so fürchterlich stank, daß man den Wind im Rücken haben mußte, wenn man mit ihm reden wollte. Natürlich war er zornig. Er beschuldigte sogar die Hundeschlachter, den jungen Burschen zu decken.
Und er hatte nicht ganz unrecht, falls das überhaupt eine Rolle spielte. Er war mitten im Handgemenge gewesen. Schwer vorstellbar, wie er da durchgeschlüpft sein sollte. Aber wie sonst hätte er entkommen sollen? Über die Brücke gewiß nicht. Zurück in den Fluß
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