Niccolòs Aufstieg
auch nicht. Und ebensowenig auf dem Kai, auf dem sie hierhergelaufen waren. War er vielleicht gen Himmel aufgestiegen?
Ausgerechnet John of Kinloch, den er zu oft gekränkt hatte, gab freundlich der Hoffnung Ausdruck, Simons Hund möge unverletzt geblieben sein. Seinen Hund hatte Simon, da er ja hinter einem anderen her gewesen war, ganz vergessen. Suchend blickte er um sich. Das Tier war an seinem Halsband einfach zu erkennen: ein prachtvolles Tier, das nun tot zu Füßen des Anführers der Hundeschlachter lag.
Der hondeslager wurde blaß. Hand an den Hund eines Edelmanns zu legen, das bedeutete Prügelstrafe. Einen Hund mit Halsband, einen Hund mit einem Brandzeichen mußte man auch nachts von allen anderen unterscheiden können. Diese Fertigkeit war unabdingbar für ihre Arbeit. Und hier, im Halblicht, hatte er den Jagdhund eines adeligen schottischen Kaufmanns getötet. Er brachte das einzige vor, das er Vorbringen konnte. »Mylord, Ihr habt gesehen, wie Euer Hund herumgesprungen ist. Er kann jedem unter den Knüppel geraten sein. Keiner meiner Leute hat ihn wissentlich erschlagen. Ich schwöre es. Und ich selber, wie hätte ich das anstellen sollen? Ich habe ja nicht einmal einen Knüppel in der Hand.«
»Ein Hundeschlachter ohne Knüppel?« höhnte ein Spötter.
»Den hat mir der junge Bursche weggenommen. Dieser Lehrling. Das habt Ihr doch selber gesehen«, wandte der Hundeschlachter sich an Simon.
»Und der hat meinen Hund getötet? Entweder er oder du, einer von euch muß es gewesen sein.«
Der Hundeschlachter sagte nichts. Er war ein ehrenhafter Mann und schaute unbeirrbar geradeaus. Dunkle Röte stieg in Simons Gesicht, und er setzte zum Sprechen an. Da kam ihm von der Mauer des hoch über ihnen aufragenden Gebäudes eine gespielt resignierte Stimme zuvor.
»Oh, was für ein Jammer, dieser Jammer!« rief der Lehrling der Charettys. »Da muß ich alles gestehen. Denn die Anwälte würden euch nie und nimmer glauben.«
Die Umstehenden richteten den Blick nach oben.
Aus seiner hohen, überdachten Nische an der Ecke blickt der älteste Bürger Brügges, der Weiße Bär, het Beertje van der Logie, nicht zu seinesgleichen hinunter, sondern nach oben, zu Dächern und Wolken hinauf. Er trägt ein breites goldenes Halsband, goldene Riemen kreuzen das weißbemalte Fell seiner Brust, und in den beiden Vordertatzen hält er das rot-goldene Wappenschild der Stadt Und da stand er auch in jener Nacht, mit stolzem Blick, und schenkte den zwei übel zugerichteten Armen, die ihn umklammerten, dem dichten braunen Flaum an seiner Wange und dem liebenswerten Kinn, das sich auf seine Schulter stützte, keine Beachtung. In einer der Fäuste hing der blutbefleckte bleierne Knüppel des Hundeschlachters, der den Jungen eindeutig schuldig sprach.
»Ergreift mich. Ich gehöre euch«, erklärte Claes friedfertig. »Ein so liebes Mädchen wie Mabelie habe ich gar nicht verdient, wenn ich anschließend losziehe und Hunde erschlage. Außerdem bin ich daran schuld, wenn euer Bär jetzt schauerlich stinkt.«
»Komm da herunter«, forderte Simon ihn leise drohend auf.
Der junge Bursche, der den Bären umarmte, nickte freundlich, »Aber erst, wenn der Wachtmeister kommt, falls Ihr nichts dagegen habt. Und wenn unter euch ein Christenmensch ist, würde der bitte Meester Julius ausrichten, daß ich wieder im Steen bin und er sich mit einem bestimmten Kahnführer unterhalten sollte.«
KAPITEL 5
Am folgenden Morgen versammelten sich die Lehrlinge noch zahlreicher vor dem Steen als am Vortag. Weber, die zur Arbeit wollten, Wohlwollende auf dem Heimweg, unter ihnen die zwei Kranwärter, hielten an und schauten lachend durch das Fenstergitter.
Diesmal war keine Mabelie da, die Claes Butter in den Bettelbeutel legte, doch ihr Name hing in der Luft wie auf ein flatterndes Banner geschrieben. Selbst als die Glocke zur Arbeit schlug und die Leute den Platz vor dem Gefängnis widerstrebend räumten, blieben einige Neugierige zurück und erhoben sich auf Zehenspitzen, um das gleichmütige Gesicht des Lehrlings sehen zu können und ihm in einem Ton, der eher gutmütig als streng war, ein paar gepfefferte Ermahnungen zuzurufen, ehe sie weitergingen.
Geblieben war auch ein milde dreinblickender bärtiger Mann von hohem Wuchs, der kein Flame war. »Nun, Claes van der Poele?« sagte er, das Wort an die Gefängnismauer richtend. Die Insassen, die Claes eine höchst unterhaltsame Nacht verdankten, stießen ihren Mitgefangenen zum Fenster und
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