Niccolòs Aufstieg
Reaktionen, die sie in der Zilverstraat auslösten, wo Florens van Borselen einen unzensierten Bericht mit einiger Enttäuschung vernahm und seine Tochter Katelina einen zensierten mit verächtlichem Lachen, wußte Julius nichts.
Er hörte genau wie alle anderen, daß die Stadt sich hinter verschlossenen Türen mit den zuständigen Magistraten beraten hatte und gegen niemanden ein Verfahren einleiten würde. Allgemein wurde angenommen, daß sich die geschädigte Familie Metteneye bei der geplagten Familie Charetty über das Benehmen ihres Lehrlings beschweren und Schadenersatz geleistet werden würde. Der Eigentümer des Kadaverboots hatte sich mit einem Krug Bier als Entschädigung zufriedengegeben.
Simon von Kilmirren hatte in aller Form Anzeige wegen des Todes seines Hundes erstattet, und Julius hatte gerade ein weiteres unerfreuliches Gespräch mit Anselm Adorne und zwei amtlichen Vertretern der Stadt hinter sich, bei dem Claes für schuldig erklärt und eine hohe Geldsumme zur Entschädigung festgesetzt worden war.
Wenn der Betrag, den das Haus Charetty schließlich an den schottischen Kaufmann bezahlen mußte, geringer ausfiel als befürchtet, so war das dem schottischen Bischof zu danken. Der hatte vom Kloster der Karmeliterinnen aus, wo er residierte, seiner Mißbilligung der ungehörigen nächtlichen Umtriebe Ausdruck gegeben. Gewiß, Lord Simon habe einen guten Hund verloren, aber das habe er sich zumindest teilweise selbst zuzuschreiben. Eine Entschädigung sei fällig, aber in angemessenem Rahmen. Er vertraue darauf, daß seine Freunde bei der Stadt Brügge das erledigen würden.
Keuchend polterte Julius nach diesem Gespräch die Treppe hinunter in den Schankraum der Wirtschaft Zu den zwei Gesetzestafeln Mosis und ließ sich auf die Bank fallen, auf der Felix im Kreis einiger seiner leichtsinnigen Freunde saß. Der junge Bonkle war da und Adornes Neffe Anselm Sersanders, dazu der Strozzi- Stellvertreter Lorenzo, der immer so schlecht gelaunt daherkam und so selten im Kontor seiner Handelsgesellschaft zu finden war.
Der Söldnerführer Lionetto saß zusammen mit dem glatzköpfigen Doktor Tobias und all seinen anderen Kumpanen am Nachbartisch. Er war ebenso betrunken wie Tobias.
In Italien und Genf hatte Julius genug betrunkene Söldnerführer erlebt, um zu wissen, wie man mit ihnen umzugehen hatte. »Willst du Claes haben?« fragte er. »Nimm ihn dir!«
Lionetto lachte lang und dröhnend mit einer Verschnaufpause dazwischen. Er war ein Mensch, dem man seine niedere Herkunft nicht nur ansah, er schien sie auch noch stolz vor sich herzutragen. Diesen Eindruck jedenfalls vermittelte seine ganze Erscheinung: das drahtige rote Haar, das ihm borstig bis auf die Schultern hing, die pockennarbige Haut und die rote Säufernase. Über seinem Wams hing eine Kette mit Rubinen. Die vielleicht auch aus Glas waren. Das Gold der schweren Kettenglieder jedoch war echt.
Dann hatte er sich von seiner Erheiterung wieder erholt. »Den nehme ich nur, wenn du mir was dazubezahlst. Du hast wohl Angst vor der Witwe, wie? He, Felix! Eure Mutter ist im Anmarsch, wißt Ihr das? Macht schon mal Euren kleinen Hintern für die Reitpeitsche frei! Du auch, Julius. He, was soll das?«
Dem betrunken grinsenden Doktor neben ihm war der Ellbogen vom Tisch gerutscht und hatte Lionettos vollen Krug mitgerissen. Mit einem Fluch schlug der Söldnerhauptmann ihn auf den Kopf und riß ihm dann einen seiner mit Schmutzflecken übersäten schwarzen Ärmel ab, um damit seine begossene Hose zu trocknen. Der Doktor machte ein wütendes Gesicht.
»He, Julius, mein Kleiner!« brüllte Lionetto. »Gib mir deinen frechen Hundemörder, und ich geb dir dafür einen versoffenen Doktor. Für ein Viertel Gascogner Wein treibt der euch Fünflinge ab. Wenn ihr überhaupt welche zusammenbringt. Ihr habt ja bei Charetty nur einen echten Mann, und das ist euer Lehrling, der kleine Hurenbock.« Lionetto sprudelte über vor Spott. »Der Bursche würde sogar Eure Mutter aufs Kreuz legen, wenn sie ihm nicht zu alt wäre.«
Felix hörte das zum Glück nicht. Gegen Lionetto konnte nur einer seines eigenen Schlags etwas ausrichten. Aber warte nur dachte Julius, der vor Zorn kochte. Warte nur, bis Astorre mit der Herrin in Brügge einzieht. Dann werden wir ja sehen, wer die Peitsche bekommt.
Er sah, wie Lionetto den Mund öffnete, und wappnete sich innerlich, gegen ihn anzugehen, aber das blieb ihm erspart. Plötzlich wurde es nämlich ganz still, und alle Blicke
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