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Niccolòs Aufstieg

Titel: Niccolòs Aufstieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Dunnett
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Kavallerieattacke.
    Julius lachte noch, als er Astorres Miene bemerkte und den Blick wie dieser zu den Gipfeln richtete. Auch dort oben stob Schnee, Risse taten sich auf, und ein Grollen drang an ihr Ohr, das nichts mit ein paar Zentnern sich lösendem Schnee zu tun hatte, aber sehr viel mit einer hochalpinen Lawine, die ganze Wälder entwurzeln, über Täler hinwegrollen und Männer und Pferde von den Bergen fegen konnte. »Reitet!« rief Astorre, gab seinem am ganzen Leib bebenden Pferd die Sporen, und schlitternd und strauchelnd lief es den Weg weiter, auf dem sie aufgehalten worden waren. Julius, dessen Pferd von hinten angestoßen wurde, versuchte das Gleichgewicht zu wahren und sah Tobias an.
    »Los. Ich komme nach«, sagte Tobias.
    Julius zögerte, gehorchte dann jedoch. Tobias trieb sein Pferd an den Wegrand und ritt gegen den Strom seiner sich herandrängenden verängstigten Begleiter. Über ihm kam Claes auf seinem beinahe strauchelnden Pferd vom Felsvorsprung herunter, und Tobias lag auf der Zunge zu sagen: Wir beide reiten zurück. Doch das war nicht nötig. Claes riß sein Pferd bereits herum und drängte es zurück zu der Stelle, wo sich der herabgestürzte Schnee auf dem Pfad türmte. Das Geräusch über ihnen wurde lauter. Die Schneewölkchen waren zu einer Wolke geworden, die ihnen den Berg hinab entgegenraste. Im Schneestaub vor ihnen zeichnete sich allmählich ein durch den Schnee stapfender Reitertrupp ab. Etliche waren barhäuptig, ihre Wimpel abgebrochen, ihr Schilde verschwunden, die Gesichter verstört. Der Anführer zerrte das Pferd des Mönchs hinter sich her. Im Sattel stöhnte der zitternde Bruder Gilles, über und über mit Schnee bedeckt. Ein Bein war gebrochen und baumelte herab.
    »Braucht sonst noch jemand Hilfe?« fragte Tobias. »Ich bin Arzt.« Claes war schon abgesessen.
    Die Engländer waren vollzählig und in der Lage weiterzureiten, obwohl ein Pferd tot war. Etwas unsanft beförderten sie den Mönch in Tobias’ ausgestreckte Arme, und der pferdelose Reiter nahm den Platz in Gilles’ Sattel ein. Der Mönch stöhnte, als Tobias ihn mit einer Hand packte. Schnell, Schnell mußte es gehen, nur darauf kam es an. Sie mußten schneller sein als die Lawine, obwohl ihre Pferde erschöpft waren - und seines trug nun noch die Last zweier Reiter. Claes war wieder aufgesessen und jetzt neben ihm. Rutschend, strauchelnd ritten sie los, das dröhnende Grollen herabstürzender Schneemassen in den Ohren, das von jeder aufragenden Felswand widerhallte. Sie würden nicht entkommen. Konnten nicht entkommen. Tobias sah Claes tief durchatmen, aber er hatte kein Mitleid mit ihm.
    »Wir müssen die Wegbiegung da vorne erreichen. Das liegt jenseits der Lawinenspur. Und dort ist ein Felsvorsprung«, erklärte Claes auf englisch. Ein verärgerter, unduldsamer Blick des englischen Anführers verriet, was er von diesem Vorschlag hielt.
    »Er mag recht haben«, sagte Tobias. »Wenn ja, können wir langsamer werden. Sonst brechen uns die Pferde zusammen.« Er fing gerade noch Claes’ Blick auf und wußte selbst nicht, warum er ihm vertraute. Schnee schlug ihm ins Gesicht: herabfallender Schnee und aufwirbelnder Schnee und von Pferdehufen hochgeschleuderter kompakter Schnee. Durch all das Weiße sah er die Wegbiegung und dahinter einen bedrohlich aufragenden Schatten: den Felsvorsprung. Claes, der sich neben ihm abmühte, legte plötzlich den Kopf zurück und atmete tief durch die Nase ein. Die ungewohnten Sorgenfalten glätteten sich. »Was nicht heißt, daß du die Prügel deines jungen Lebens nicht verdienst. Und auch weiter kriegen wirst«, stieß Tobias zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    »Ich weiß«, erwiderte Claes. »Da, gleich sind wir in Sicherheit.« Mühsam kämpften sie sich um die weit ausholende Biegung. Unter dem Felsvorsprung tat sich eine Höhle auf, groß genug für alle. Inzwischen war das Grollen über und hinter ihnen ohrenbetäubend. Tobias fragte sich, welche Masse Schnee ein solches Getöse machte und mit welcher Geschwindigkeit sie talwärts donnern mochte. Der Felsvorsprung würde sie nicht retten. Wenn die Lawine darauftraf, würde sie ihn mit sich reißen. Doch das Risiko mußten sie eingehen.
    Sie verfehlte den Felsvorsprung. Sekunden später hörten sie, wie die Schneemassen dort auf den Weg herabdonnerten, wo sie eben noch gewesen waren. Und sie hörten, wie krachend Gestein brach und Bäume knickten, als der Felsgrat barst und etliche zersplitterte Bäume mit

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