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Niccolòs Aufstieg

Titel: Niccolòs Aufstieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Dunnett
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sich in die Tiefe riß.
    Schweigend saßen sie in der sicheren Höhle auf ihren Pferden und betrachteten das Naturschauspiel. Die Spur der Lawine verlief haarscharf neben dem Felsvorsprung, genau wie Claes vorhergesagt hatte. Aus astrologischer Weitsicht oder aus reiner Berechnung - oder aus Ortskenntnis. Schließlich war Claes in Genf aufgewachsen. Tobias hörte, wie er in diesem Augenblick genau das einem der Engländer erzählte, einem dunkelhäutigen jungen Mann, der zu ihm kam, vielleicht um ihm zu danken. Tobias, dessen Aufmerksamkeit halb dem Mönch galt, hätte zu gerne gewußt, was sie sonst noch sagten. Doch dann verlor er das Interesse, denn ein paar Schritte weiter kam plötzlich Unruhe auf, und zusammen mit Julius und all den anderen erschien Astorre, um sich zu vergewissern, daß sie in Sicherheit waren. Sie hielten sich nicht lange auf. Jetzt, da der Schreck überstanden war, wollte keiner bleiben. Sie halfen Tobias, seinen Patienten sicher festzuschnallen, und dann brach der Charetty-Troß gemeinsam mit den Engländern auf.
    Tobias merkte, daß Astorre nach Claes Ausschau hielt, doch der hatte sich wohlweislich unsichtbar gemacht. Der englische Anführer erklärte Hauptmann Astorre, was er von Schwachköpfen hielt, die in den Bergen herumbrüllten, doch Astorre - und dafür bewunderte Tobias ihn - antwortete nachsichtig. Etwas anderes blieb ihm kaum übrig, denn die Sache war überstanden. Und Bruder Gilles war der einzige wirklich Leidtragende.
    »Er sollte lieber fragen, was er von Schwachköpfen hält, die andere Schwachköpfe auffordern, in den Bergen herumzubrüllen«, meinte Julius. »Habt Ihr Claes gesehen?«
    »Natürlich habe ich ihn gesehen«, erwiderte Tobias. »Ich hatte ihn direkt vor der Nase. Und falls Ihr meine Meinung hören wollt: Er hat eine nette kleine Lawine erhofft, aber eine große bekommen. Und einen gewaltigen Schreck dazu. Eine Weile war er so weiß wie der Schnee, unser Freund Claes.«
    Julius musterte ihn. »Ich habe schon öfter erlebt, daß er mehr bekam, als er eigentlich wollte. Und ich habe auch schon erlebt, daß er erschrocken war. Doch eins sage ich Euch: Bei all dem Schrecken genießt der Kerl das insgeheim. Sonst würde er doch aufhören damit. Oder nicht?«
    Julius’ Ton war aufgebracht gewesen, doch schwang darin etwas mit, das fast bekümmert klang. Tobias ritt weiter und ließ die Frage unbeantwortet.

KAPITEL 13
    Unter Führung von Hauptmann Syrus de Astariis, besser bekannt als Astorre, ritt die Abordnung des Hauses Charetty elf Tage nach dem Aufbruch in Genf in der Stadt Mailand ein. Beim Ausblick auf die grüne lombardische Ebene konnten Reisende schon von weitem die dicken roten Mauern der Hauptstadt und ihre Giebel und Türme erkennen. Das Herzogtum Mailand war einer der fünf italienischen Staaten, Rivale Venedigs, geheimer Verbündeter Neapels und offener Freund des Papstes.
    Es erstreckte sich von der Toskana bis zu den Alpen und wurde derzeit von den Florentinern umworben, die ihre Märkte im Norden nur über das Herzogtum erreichen konnten. Und die Florentiner, das waren die Medici.
    Mailand war nicht wie Brügge von Wasserwegen durchzogen, nicht wie Venedig im Wasser erbaut. Mailand war von zwei konzentrischen Ringen aus Kanälen und roten Festungsmauern mit sechs Toren geschützt. Astorre wollte herausfordernden Einzug durch die Porta Vercellina halten. So jedenfalls hatte man es geplant auf der Reise durch Aosta, Ivera, Vercelli und Novara, wo sie eine Nacht verbracht hatten und, wie Julius spottete, ihre Ausrüstung polierten wie eine Hausfrau ihren Hausrat am Abend vor der Zwangsversteigerung.
    Doch auch Julius tat sein Teil: Beim Morgengrauen präsentierte er sich mit seinen Papieren und dem reinen, beredsamen Italienisch, das er sich aus seinen Studienjahren in Bologna bewahrt hatte, an der Zugbrücke und war mittags mit einem Passierschein und einem Bescheid des herzoglichen Sekretariats zurück, der ihnen Unterkunft und Verpflegung samt Wein im Ospizio al Capello und seinen Nebengebäuden bewilligte. Eine Stunde später ritten sie durch die Visconti-Tore und am Jagdrevier des Castello Visconteo vorüber, das eine bewegte Kulisse aus Kränen, geschäftigen Arbeitern und roten Schwalbenschwanz-Zinnen bot, da es gerade zum Castello Sforzesco umgestaltet wurde.
    Die Erbin der Familie Visconti hatte Francesco Sforza geheiratet, den Sohn eines der mächtigsten condottieri, die Italien je erlebt hatte. Und wenn einer einen Blick für den rechten

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