Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
welcher Seite sie stand, nämlich auf der der Menschen. Das hatte die Urspinne im Kampf gegen die Morrigan und ihr Krähenvolk bewiesen. »Was hast du vor?«
»Halte still und gerate nicht in Panik«, sagte Areop-Enap mit einem breiten Lächeln. »Es ist zu deinem Besten.« Unvermittelt fiel ein dicht gewebter Teppich aus Spinnenfäden über die Zauberin und hüllte sie von Kopf bis Fuß ein. Eine Welle von Spinnen schwappte vom Boden her über die Frau und zurrte die Hülle mit klebrigen Seidenfäden um ihren Körper herum fest.
»Vertrau mir«, sagte Areop-Enap noch einmal.
Perenelle hielt vollkommen still, obwohl ihr Instinkt sie drängte, sich gegen das Netz zu wehren, es zu zerreißen, ihre Aura erstrahlen zu lassen und es zu Asche zu verbrennen. Sie presste die Lippen fest zusammen. Sie hatte Ungeheuer bekämpft und Kreaturen aus den grausamsten Legenden der Menschheit gesehen, aber die Vorstellung, eine Spinne könnte ihr in den Mund kriechen, fand sie absolut ekelhaft.
Die Urspinne drehte den Kopf und hob ein langes Bein; die Haare wogten leicht hin und her, als sie die Luft prüfte. »Mach dich bereit«, sagte Areop-Enap. »Sie kommen. Solange das Netz unbeschädigt ist, bist du geschützt.«
Perenelle steckte inzwischen in einem dicken Kokon aus seidigen weißen Spinnenfäden. Sie hatte schon früher kostbarste Seide getragen, doch das hier war etwas anderes. Sie hatte das Gefühl, als hätte man sie fest in eine weiche Decke eingehüllt, unglaublich angenehm, wenn auch etwas beengend. Der Kokon war um ihren Mund und um die Augen herum dünner, sodass sie atmen und etwas sehen konnte, aber es war, als schaue sie durch einen Gazevorhang. Plötzlich gab es einen Ruck, sie wurde hochgehoben und in eine Ecke gedrückt. Sofort war ein Heer von schwarzen Spinnen über ihr und befestigte den Kokon sicher an der Mauer und den Eisenstreben, die das Haus zusammenhielten. Von ihrem erhöhten Standort aus konnte sie den Raum überblicken und sah, dass Areop-Enap sich in der Mitte auf den Boden kauerte.
Perenelle stellte fest, dass der dunkle Teppich unter der Erstgewesenen aus Tausenden, vielleicht sogar Millionen von Spinnen bestand; er wogte und pulsierte. Areop-Enap hatte sich nach Norden gewandt, Richtung Angel Island, doch war die Insel jetzt im frühen Morgennebel nicht zu erkennen. Perenelle versuchte, sich in ihrem Kokon etwas zu drehen und in dieselbe Richtung zu blicken. Über dem Wasser ballten sich am Horizont Unwetterwolken zusammen, dick und blauschwarz. Sie erwartete jeden Augenblick, dass Blitze darüber wegzuckten. Doch dann sah sie durch den seidenen Vorhang vor ihrem Gesicht, dass die Wolke sich drehte, sich umstülpte … und irrsinnig schnell näher kam. Weniger als zwölf Herzschläge später hatte sie das nördlichen Ende von Alcatraz überflogen.
Und dann begann es zu regnen.
Das verfallene Wärterhaus hatte kein Dach mehr. Dicke schwarze Tropfen fielen aus der Wolke, klatschten gegen Perenelles Spinnfadenkokon … und blieben kleben.
Und der Zauberin wurde mit einem Schlag klar, dass es keine Regentropfen waren, sondern Fliegen.
Fette Schmeißfliegen und Stubenfliegen, gedrungene Fruchtfliegen, schlanke Pferdebremsen, Waffenfliegen und Raubfliegen regneten auf die Insel herunter. Und die, die auf ihren Kokon trafen, klebten daran fest.
Bevor Perenelle auch nur einen angeekelten Laut ausstoßen konnte, schossen schon einzelne Spinnen über das Netz und fingen an, die zappelnden Fliegen in Seide einzuwickeln.
Perenelle sah hoch. Die riesige Wolke stand fast direkt über ihnen. Doch jetzt sah sie, dass es gar keine Wolke war. Der Insektenschauer war nur ein Vorgeschmack auf das gewesen, was kommen würde. Die strudelnde Masse bestand aus Millionen von Fliegen, dicken Dasselfliegen und rotäugigen Bohrfliegen, Schnaken, Kriebelmücken, Moskitos und winzigen Stechmücken.
Die Insekten senkten sich als dunkler Teppich auf Alcatraz herab. Die erste Welle wurde in den weißen, seidigen Spinnennetzen gefangen, die rasch dunkel und vom Gewicht der zappelnden Insekten schwer wurden. Perenelle sah, wie die Netze um sie herum Risse bekamen, als immer mehr Fliegen dagegenprallten. Horden von Spinnen wälzten sich darüber und waren bald in den uralten Kampf verwickelt. Die mit Seidenfäden überzogenen Mauern wogten von zappelnden Spinnen und sich verzweifelt wehrenden Fliegen, und bald sah es aus, als sei hämmerndes, pulsierendes Leben darin.
Die Fliegen umschwirrten Areop-Enap, und die
Weitere Kostenlose Bücher