Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
heruntergefallen und nie erneuert worden. Hinter einer hohen Betonwand mit Glasscherben und Stacheldrahtrollen obendrauf lagerten Hunderte kaputter und rostiger Autos, aufgestapelt zu gefährlich hohen Türmen. Die Wand um den Schrottplatz herum war dick mit alten Plakaten zugekleistert, die längst gespielte Konzerte ankündigten, mehrere Jahre alte »neue« Alben und zahllose Indy-Gruppen. Werbeplakate waren zu einer dicken bunten Schicht übereinandergeklebt und dann noch mit Graffiti übermalt worden. Es war fast unmöglich, dazwischen die »Achtung! Lebensgefahr«- und »Betreten verboten«-Schilder noch zu erkennen.
Palamedes hielt am Straßenrand, ungefähr einen Block von dem mit schweren Ketten verschlossenen Eingang entfernt, und machte den Motor aus. Er legte beide Arme oben auf das Lenkrad, beugte sich vor und sah sich aufmerksam um.
Flamel war eingeschlafen, und Sophie hing Gedanken nach, die ihre Pupillen gelegentlich silbern aufblitzen ließen.
Josh rutschte vom Sitz und kniete sich auf den Boden hinter der Glasscheibe. »Ist das unser Ziel?«, fragte er und wies mit dem Kinn Richtung Autofriedhof.
»Fürs Erste.« Palamedes’ Zähne leuchteten im halbdunklen Inneren des Taxis. »Es mag nicht danach aussehen, aber das ist wahrscheinlich der sicherste Ort in ganz London.«
Josh sah sich um. Die Backsteinhäuser rechts und links waren so verfallen, dass sich das Renovieren nicht mehr lohnte. Die ganze Gegend war schäbig und heruntergekommen. Die meisten Türen und Fenster waren mit Brettern vernagelt, einige sogar zugemauert. Es gab keine einzige heile Glasscheibe mehr. Am Straßenrand stand aufgebockt auf Betonklötzen die rostige Karosserie eines ausgebrannten Wagens. Auf der Straße rührte sich nichts. »Seltsam, dass die Gegend nicht saniert worden ist oder so.«
»Irgendwann wird sie es«, sagte Palamedes wehmütig. »Aber der derzeitige Besitzer sitzt erst mal auf dem Land und wartet, bis sie im Wert gestiegen ist.«
»Und was passiert, wenn er verkauft?«, wollte Josh wissen.
Palamedes grinste. »Ich werde nie verkaufen.« Er zeigte mit dem dicken Zeigefinger seiner rechten Hand geradeaus nach vorn. »Da war mal eine Autofabrik und in diesen Straßen herrschte Vollbeschäftigung. Als die Fabrik in den 1970ern geschlossen wurde, leerten sich die Häuser eines nach dem anderen, weil die Leute starben oder sich andere Arbeit suchten und wegzogen. Damals habe ich angefangen, die Grundstücke zu kaufen.«
»Wie viele gehören dir?«, fragte Josh beeindruckt.
»Alle im Umkreis von ungefähr einer Meile. Etwa zweihundert Häuser.«
»Zweihundert? Das muss dich ja ein Vermögen gekostet haben!«
»Ich habe schon vor König Arthur auf dieser Erde gelebt. Ich habe mehrfach ein Vermögen gemacht und es wieder verloren. Mein Reichtum ist nicht zu beziffern … Das Schwierigste ist, zu verhindern, dass das Finanzamt dahinterkommt!«
Josh blinzelte überrascht. Er hätte nie gedacht, dass Unsterbliche Probleme mit dem Finanzamt haben könnten. Dann wurde ihm klar, dass es in Zeiten des Computers und anderer Überwachungstechnologien schier unmöglich sein musste, sich vor den staatlichen Behörden zu verstecken. »Wohnen noch Leute hier?«, fragte er. »Ich sehe niemanden …«
»Wirst du auch nicht. Die Leute « – er zog das Wort betont in die Länge –, »die in meinen Häusern wohnen, kommen nur nachts heraus.«
»Vampire«, murmelte Josh.
»Keine Vampire«, korrigierte Palamedes rasch. »Ich habe keine Zeit, mich mit Bluttrinkern abzugeben.«
»Was dann?«
»Larvae und Lemuren … Die Untoten und die Nicht-Toten.«
»Und was sind sie?«, fragte Josh. Er nahm nicht an, dass Larvae etwas mit jungen Insekten zu tun hatten oder dass mit Lemuren die langschwänzigen Affen gemeint waren, die er schon in Zoos gesehen hatte.
»Es sind …« Palamedes zögerte, dann lächelte er. »Nachtgeister.«
»Sind sie freundlich?«
»Sie sind loyal.«
»Und weshalb warten wir dann?« Josh war klar, dass das andere Thema für Palamedes abgeschlossen war. »Wonach schaust du?«
»Nach etwas, das anders ist als sonst.«
»Aber was tun wir hier?«
»Wir warten. Wir beobachten. Hab ein wenig Geduld.« Der Fahrer drehte sich zu Josh um. »Inzwischen weiß der größte Teil der unsterblichen Welt, dass der Alchemyst die legendären Zwillinge gefunden hat.«
Josh wunderte sich, wie offen der Ritter mit ihm redete. »Eben hat es sich so angehört, als seist du dir da gar nicht so sicher. Glaubst du
Weitere Kostenlose Bücher