Nicholas Flamel Bd. 4 Der unheimliche Geisterrufer
Aus demselben Grund mied er England.
»Was machen deine Hände?«, erkundigte sie sich.
»Tun ziemlich weh.« Er hielt sie hoch. »Das Frustrierende dabei ist, dass ich sie sofort heilen könnte, wenn ich meine Aura nur einen einzigen Augenblick aktivieren könnte.«
»Dann kannst du gleich der ganzen Stadt verkünden, dass du hier bist.«
Der Magier nickte. »Genau.«
»Ich nehme an, du hast einen Plan?«, erkundigte sich Virginia.
Dee lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und drehte sich so, dass er wieder über die Stadt blicken konnte. »Ich habe immer einen Plan«, erwiderte er. »Ich habe gerade gedanklich daran gefeilt, als du hereingekommen bist. Es ist fast alles bereit.« Er wies hinaus in die Nacht. »Alcatraz liegt da draußen. Die Insel gehört jetzt meiner Firma und für Unbefugte ist der Zutritt verboten. In sämtlichen Zellen sitzen Ungeheuer und eine Sphinx läuft frei herum.«
Virginia schüttelte sich. »Ich hasse diese Kreaturen.«
»Sie sind nützlich. Wir dachten, die Sphinx könnte Perenelle Flamel in Schach halten. Wir haben uns getäuscht.«
»Wir?«
»Meine Gebieter und ich.«
Virginia ging um den Schreibtisch herum und stellte sich neben den Magier. »Hübsch«, sagte sie.
»Ich liebe den Ausblick«, murmelte Dee. Im Gegensatz zu seinen Büros in London oder New York, die so hoch oben lagen, dass er kaum die Straßen erkennen konnte, hatte er hier einen herrlichen Blick über den Pioneer Park und die Stadt, die sich unter ihm ausbreitete und zum Greifen nah war. Fast direkt gegenüber stand das Transamerica-Gebäude, das sich mit seinen Lichtern gegen den Nachthimmel abzeichnete.
»Du weißt, dass deine Meister nicht eher ruhen, bis sie dich geschnappt haben«, sagte Virginia leise.
»Ja, das weiß ich.«
»Jeder Augenblick, den du in Freiheit und ungestraft verbringst, ist eine Beleidigung für sie. Deine Meister verlieren bei den anderen Älteren an Ansehen. Sie müssen ein Exempel an dir statuieren.«
Wieder nickte Dee. Er sah sich und Virginia in dem dunklen Glas gespiegelt. Es sah aus, als schwebten sie über der Stadt. »Du hast deinen Gebieter umgebracht. Und dennoch war keiner deshalb hinter dir her.«
Virginia lachte, doch es war ein aufgesetztes Lachen. »Ich habe meinen Gebieter nicht umgebracht. Der Idiot wurde auf seine alten Tage nicht nur hochmütig, sondern auch unvorsichtig. Er hat den Fehler begangen, die Autorität einer Hirschfrau infrage zu stellen, und dann hat er sie und ihren Stamm von Gestaltwechslern auch noch beleidigt.«
»Was genau ist passiert?«
Virginia lachte erneut. »Was glaubst du? Hirschfrauen hat es gegeben, lange bevor das Ältere Geschlecht von Danu Talis geflohen ist. Sie kennen jeden versteckten Pfad, jeden geheimen Weg und jedes Krafttor, und sie wissen, wie alle untereinander verbunden sind. Gerade noch war mein Gebieter in Oklahoma, wo er die Frau bedroht hat – und im nächsten Augenblick hockte er in Badwater. Das liegt mitten im Death Valley in der Mojave-Wüste und es war Hochsommer. Soweit ich weiß, hat er sich in den ersten Tagen mithilfe seiner Aura noch Kühlung verschafft. Solange, bis keine Aura mehr übrig war.« Sie klatschte plötzlich in die Hände und der Magier zuckte zusammen. »Irgendwann hat ihn seine eigene Aura in einer Feuerkugel verschlungen. Kein Stäubchen blieb von ihm übrig.«
»Woher weißt du das alles?«, fragte Dee verwundert.
»Weil ich dabei war«, antwortete Dare leichthin. »Wer hat die Hirschfrau wohl zu ihm geführt, was glaubst du?« Sie tätschelte Dees Schulter. »Ich hatte genug von ihm. Er hat mich ein Mal zu oft angelogen und mir Versprechungen gemacht, die er von vornherein nie halten wollte.« Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern und krümmte leicht die Finger. »Mach nicht denselben Fehler.«
»Bestimmt nicht«, antwortete Dee, der Virginias Spiegelbild die ganze Zeit in der Scheibe beobachtete.
»Dann sag mir jetzt, was du vorhast, Doktor.«
Dee erhob sich steif. Wortlos ging er durch den Raum und betrat einen kleinen privaten Aufzug. Dare zögerte einen Augenblick, bevor sie ihm folgte. Der Aufzug war offenbar nur für eine Person konzipiert und unangenehm eng. Äußerst vorsichtig drückte der Magier mit seinem verbrannten Daumen auf einen Knopf mit der Aufschrift »Nothalt«. Der Knopf leuchtete mattblau und die Türen schlossen sich mit einem Zischen.
»Das Neueste in Sachen Fingerabdruck-Identifikation«, erklärte Dee. »Drückt jemand anderes auf den
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