Nicholas Flamel Bd. 4 Der unheimliche Geisterrufer
des Tisches nebeneinander lagen, war die Ähnlichkeit offensichtlich. Sie maßen alle ungefähr einen halben Meter und waren jeweils aus einem einzigen Stein geschnitten worden. Clarent war als Einziges von den vier Schwertern matt und hässlich – die übrigen waren auf Hochglanz poliert. Virginia fielen winzige Unterschiede in der Form der Griffe auf, doch hätte sie Dee nicht beobachtet, als er sie auf den Tisch gelegt hatte, hätte sie sie wahrscheinlich nicht auseinanderhalten können – mit Ausnahme von Clarent natürlich.
»Sobald ich alle Erstgewesenen und Älteren der nächsten Generation sowie sämtliche Unsterblichen, die noch auf dieser Welt sind, gefunden und umgebracht habe, zerstöre ich mit den Schwertern die Eingänge zu den Schattenreichen hier auf der Erde. Dann wird sie wirklich unsere Welt.«
»Sehr clever, ohne Zweifel«, bemerkte Virginia. »Ich habe dazu nur eine Frage …«
»Nur eine?«
»Warum ich?«
Dee sah sie verständnislos an.
»Du hast das alles so sorgfältig geplant. Jetzt sag mir endlich, wozu du mich brauchst.« Der Magier öffnete den Mund, doch Virginia hob die Hand und hieß ihn schweigen. »Und versuche gar nicht erst, mich anzulügen«, flüsterte sie. »Nicht mit vier Schwertern vor mir auf dem Tisch.« Obwohl sie die ganze Zeit lächelte, war die Drohung unmissverständlich.
Dee nickte. »Ich bin auf dich gekommen, weil … Nun, ich habe es dir doch gesagt: Du bist ein zentraler Baustein in meinem Plan. Ich brauche deine Flöte.«
»Meine Flöte?« Virginia war völlig perplex.
Dee sah einigermaßen verlegen aus. »Na ja, wenn die Ungeheuer in der Stadt sind, kann ich sie über einige Tage hinweg sicher unter Kontrolle halten. Aber sobald sie gefressen haben, entgleiten sie mir …« Gespannt wartete er auf Virginias Reaktion.
»Und du glaubst, meine Flöte kann sie verzaubern und in Schach halten?«
»Da bin ich mir ganz sicher. Weißt du nicht mehr? Ich war dabei, als du am Ufer des Red River gestanden und dreitausend wild gewordene Büffel zurückgetrieben hast. Ich habe eine ungefähre Ahnung von der Macht der Flöte.«
»Es besteht aber ein gewisser Unterschied zwischen einer Herde Büffel und dieser Albtraum-Menagerie, die du zusammengesammelt hast.«
Dee schüttelte den Kopf. »Es sind alles Tiere. Und eben erst habe ich erlebt, wie du sowohl Cucubuths als auch Humanis niedergestreckt hast. Ich habe absolutes Vertrauen in dich.«
»Danke«, erwiderte Virginia sarkastisch. »Ich lasse die Viecher also in Ohnmacht fallen. Und was willst du mit ihnen machen, wenn sie wieder aufwachen?«
Dee tat die Frage mit einem Schulterzucken ab. »Sie niedermetzeln oder nach Alcatraz zurückbringen. Dort sollen sie dann sehen, wie sie allein zurechtkommen.« Er griff nach der rechteckigen Kiste, die auf dem Tisch stand, öffnete den Deckel und holte ein kleines in Kupfer gebundenes Buch heraus.
Sofort knisterte die Luft vor Elektrizität und über sämtliche Metalloberflächen tanzten grüne Funken.
Virginia hatte das Gefühl, als habe jemand alle Luft aus ihrer Lunge gesogen. »Ist das wirklich das, wofür ich es halte?«
Dee legte das Buch in die Mitte der Schwerter. Der Buchdeckel war mit grün angelaufenem Kupfer beschlagen und die einzelnen Seiten waren dick und vergilbt und an den Rändern eingerissen.
»Der Codex! Abrahams Buch der Magie«, sagte Dee fast andächtig. »Mein ganzes Leben habe ich der Suche nach diesem Buch geopfert.« Er wickelte eine Ecke der roten Seide um seine Finger und schlug es vorsichtig auf. »Und als ich es endlich in Händen hielt, waren die letzten beiden Seiten herausgerissen.« Er blätterte zum Ende des Buches und man sah die gezackten Reste von zwei dicken Seiten aus der Bindung herausragen. Der Magier kicherte, ein hohes, nervendes Geräusch. »Und soll ich dir was sagen, Virginia? Die fehlenden beiden Seiten enthalten den letzten Aufruf, die Formel, mit der die Wesen des Älteren Geschlechts aus ihren Schattenreichen in diese Welt zurückgeholt werden können. Meine Gebieter waren sehr ungehalten, weil sie fehlen.« Aus seinem Kichern wurde ein Lachen, das bald immer lauter und hysterischer wurde und seinen ganzen Körper schüttelte. »Doch jetzt hat es sich herausgestellt, dass wir den letzten Aufruf gar nicht brauchen, weil die Älteren nicht zurückkommen werden.«
»Doktor!«, fauchte Virginia. Mit einem Mal bekam sie Angst vor Dee. So hatte sie ihn noch nie erlebt. »Beherrsche dich!«
John Dee tat einen tiefen,
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