Nicholas Flamel Bd. 4 Der unheimliche Geisterrufer
dabei, als Danu Talis unterging.« Seine Stimme brach. »Er hat meine Welt zerstört. Ich war mir sicher, dass er mit der Insel untergegangen ist. Hätte ich gewusst, dass er noch am Leben ist, hätte ich ihn gejagt und umgebracht.«
»Saint-Germain – wer ist das?«, fragte Palamedes und sah aufmerksam in die Kugel.
»Das Feuer habe ich von Prometheus gestohlen«, kam die geflüsterte Antwort, »aber dies ist das Wesen, das mir seine Geheimnisse verraten hat.«
»Was ist er? Erstgewesener, nächste Generation, Unsterblicher oder Humani?«, wollte Palamedes wissen.
»Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube nicht, dass er den Erstgewesenen oder der nächsten Generation angehört. Durch und durch menschlich ist er wahrscheinlich auch nicht. Ich habe keine Ahnung, was er ist. Nicholas ist ihm lange vor mir auch schon einmal begegnet. Er hat dem Alchemysten gezeigt, wie er den Codex entschlüsseln kann. Von ihm haben die Flamels die Formel für den Unsterblichkeitstrank.«
»Was tut er in der Vergangenheit?«, fragte Shakespeare.
»Er ist nicht in der Vergangenheit«, antwortete Tammuz und überraschte damit alle. »Ihr seht hier ein Schattenreich, das nach dem Vorbild einer prähistorischen Welt erschaffen wurde.«
Dann trug die Luft ihnen von weither eine dünne, aber klare Stimme zu: »Scathach, die Schattenhafte, und Johanna von Orléans. Wo seid ihr gewesen? Ich habe so lange auf euch gewartet. Willkommen in meiner Welt.«
Die drei Unsterblichen blickten gebannt auf die Kugel in Tammuz’ Hand und sahen, wie die Gestalt die Arme ausbreitete. Dann blickte der Mann mit dem Kapuzenumhang unvermittelt auf und schien aus der Rauchkugel herauszuschauen. Sie sahen seine blauen Augen silbrig glänzen. »Und dazu noch Saint-Germain. Ich habe dir gesagt, der Tag würde kommen. Es ist Zeit, dass du deine Schuld begleichst. Warum kommst du nicht zu uns? Schicke ihn zu mir, Tammuz!«, befahl die Gestalt. »Auf der Stelle.«
Wortlos packte der Grüne Mann Saint-Germain mit der linken Hand am Revers seiner Jacke. Dann drückte er dem Unsterblichen die rauchende Kugel an die Brust.
Im selben Augenblick löste Saint-Germain sich in grauen Rauch auf und verschwand.
KAPITEL SECHSUNDVIERZIG
D ie Gegensprechanlage auf Dees Schreibtisch summte leise. »Mrs Dare ist wieder da, Sir.«
»Schicken Sie sie herein.« Dr. John Dee drehte sich in seinem Ledersessel so, dass er die Straßen von San Francisco im Rücken hatte. Ein schlanker, rothaariger Assistent hielt die Tür für Virginia auf, die beladen mit Einkaufstüten das riesige Büro aus Glas und Chrom betrat. Die Absätze ihrer Stiefel klackten auf dem Marmorboden.
»Shoppen ist etwas Wunderbares«, verkündete sie.
Dee sah seinen Assistenten an. »Danke, Edward, das war’s für heute. Sie können jetzt nach Hause gehen. Und danke, dass Sie so lange geblieben sind.«
Der Mann nickte. »Sind Sie morgen im Büro? Es müssen noch einige Schriftstücke unterzeichnet werden.«
»Im Moment kann ich es noch nicht genau sagen. Und falls jemand nach mir fragt, bin ich immer noch unterwegs.«
»Gewiss. Ich habe heute Nachmittag eine Pressemitteilung herausgegeben mit der Meldung, dass Sie sich in Hongkong aufhalten.« Der Mann ging rückwärts aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Der Doktor wandte sich wieder Virginia zu. »Du siehst hinreißend aus.« Er beugte sich vor und legte vorsichtig die verbrannten Hände auf den Schreibtisch. Obwohl er sie mit Aloe Vera und einer schmerzstillenden Salbe eingerieben hatte, brannten sie immer noch.
»Hey, danke«, sagte Virginia und lächelte. »Aber du weißt schon, dass du all die Sachen bezahlt hast, ja? Und sie waren alle sehr teuer.«
»Du hattest schon immer einen teuren Geschmack.«
Unter einer taillenlangen schwarzen Wildlederjacke mit Fransen an sämtlichen Nähten trug Virginia eine hellblaue Jeans, eine rote Bluse im Western-Stil und einen schwarzen Gürtel aus Echsenleder, der zu ihren schwarzen Stiefeln passte. Sie ließ sich dem Magier gegenüber in einen Sessel fallen, legte die Füße auf die Schreibtischkante und sah ihn über die schwarze Marmorplatte hinweg an. »Ich hatte ganz vergessen, dass es so super Boutiquen in San Francisco gibt.«
»Wann warst du das letzte Mal hier?«, fragte er.
»Allzu lange ist das noch nicht her«, antwortete sie ausweichend, »aber du weißt doch, dass ich mich ungern lange in Amerika aufhalte. Hier sind einfach zu viele traurige Erinnerungen für mich.«
Dee nickte.
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