Nicht die Bohne!
Sie kann zum Beispiel niemals auch nur das kleinste Fitzelchen Müll entdecken, ohne es sofort aufzuklauben und ordnungsgemäß zu entsorgen. Seit sie unter diesem Müllentsorgungszwang leidet, sind Menschen, die nicht aktiv und voller Freude an der Mülltrennung teilnehmen, »die Geißeln unserer Gesellschaft« (Originalton Andrea).
»Jetzt zeig mir das Bild!«, ranzt sie mich an, und erschrocken über den militärischen Ton springe ich auf, um Gefordertes unter den zerwühlten Sofakissen hervorzuzerren. Ich streiche den schwarz-weißen Ausdruck glatt und reiche ihn ihr. Sie schaut und schweigt. Eine gefühlte Stunde lang starrt sie das Bild an. Vermutlich sind es nur ein paar Sekunden – so viel gibt es nun auch nicht darauf zu sehen –, aber es kommt mir unendlich lange vor, bis sie endlich wieder aufblickt. Und zwar mit Tränen in den Augen.
Na super!
»Scheiße!«, flüstert sie, als ich ihr das Bild energisch aus den Fingern nehme. Ich darf hier heulen. Sie nicht. Außerdem dachte ich, dass das Wort »Scheiße« in ihrem aktiven Wortschatz gar nicht mehr vorkommt, seitdem sie Super-Mom ist und vehement gegen alle bösen Worte dieser Welt kämpft.
»Ja, große Scheiße!«, stimme ich zu, dankbar, dass sie nicht sofort ihren üblichen Standardsatz »Das sagt man nicht!« von sich gibt. Vielmehr steht sie auf und sagt sehr laut: »Scheißescheißescheiße!«
Ich diagnostiziere einen Fäkalwort-Stau – kein Wunder bei fünf Jahren ohne »Scheiße!« –, und stimme energisch nickend zu. Sie lässt sich neben mich aufs Sofa sinken und sagt: »Du bist ja richtig schwanger!«
Ach nee. Genau DAS ist schließlich mein Problem. Und eigentlich dachte ich, sie sei hier, um genau dieses Problem durch die Erstellung eines ausgeklügelten Plans in den Griff zu bekommen.
»Hast du einen Termin?«, fragt sie mich leise und blickt dabei starr auf die Küchenwand.
Etwas verwirrt antworte ich: »Der erste Juli.« Als sie mich entgeistert anstarrt, füge ich bekräftigend hinzu: »Das sagt der Arzt!«
»Ich meine doch nicht den Geburtstermin. Sondern den Termin zum …« Sie hebt die Hände und versinkt wieder in die stumme Kommunikation mit meiner Küchenwand.
Endlich begreife ich, was sie meint, und sage: »So einfach ist das nicht. Vorher muss noch ein Beratungsgespräch stattfinden. Und mit Olaf sollte ich auch reden.«
Verstohlen blicke ich sie von der Seite an. Ob ihr meine Küchenwand irgendwelche Geheimnisse anvertraut?
»Und, was wirst du jetzt machen?« Sie wirft meiner Wand einen fragenden Blick zu.
»Andrea! Ich bin schwanger. Das war in meiner Lebensplanung bisher nicht vorgesehen. Außerdem hab ich mich vom Erzeuger dieser Zelle getrennt. Und bringen wir es doch einmal auf den Punkt: Meine berufliche Zukunft lässt sich definitiv nicht mit einem Kind vereinbaren.« Hilflos zucke ich mit den Schultern. »Das sind die Fakten, die ich bis jetzt zu meiner Entscheidungsfindung einbezogen habe. Ich habe so was von keine Ahnung, was ich tun soll.«
»Du schließt es nicht grundsätzlich aus, dieses Kind zu bekommen?«, fragt sie und sieht mich durchdringend an.
Ich erwidere ihren Blick und versuche mich innerlich zu sortieren. Was haben wir denn da … also: Die Fakten sprechen definitiv gegen ein Kind. Allerdings scheint mein Unterbewusstsein eine gewisse Affinität dieser Bohne mit Herzschlag gegenüber zu haben, sonst hätte ich ja wohl schon diesen Beratungstermin. Was wiederum bedeutet, dass … ich es tatsächlich für möglich halte, dieses Kind zu bekommen? Erschrocken blinzele ich Andrea an. Ich lehne mich verwirrt zurück und schweige.
»Sieh mal«, sagt Andrea und nimmt meine Hand. »Das ist genau der Punkt. Als du Samstag bei mir warst, dachte ich: Du wirst das schon managen wie alles in deinem Leben. Du sortierst die Fakten, triffst eine Entscheidung und setzt sie um. So bist du. Jetzt erlebe ich dich völlig aufgelöst. Die Tatsache, ein Baby im Bauch zu haben …«
Hektisch unterbreche ich sie: »Eine Zelle! Es ist eine Zelle, klar?!«
Ungerührt fährt sie fort: »… ein Baby im Bauch zu haben, lässt dich nicht kalt. Und genau deshalb musst du in Ruhe darüber nachdenken. Ich verstehe deine Unsicherheit und deine Angst, denn das hier ist eine andere Entscheidung als die Wahl eines Studiengangs oder eines Jobs. Du musst aber auch bedenken, dass du Elterngeld bekommen wirst und dein Arbeitgeber dir nach der Elternzeit wieder einen Job geben muss. Und was Olaf angeht: Ihr müsst nicht
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