Nicht die Bohne!
sprechen, können Sie dort auch vor dem offiziellen Beratungstermin Hilfe bekommen.« Jetzt starre ich auf die Adresse von pro familia.
»Der errechnete Termin ist übrigens der erste Juli«, fügt er noch hinzu und tippt fleißig auf der Tastatur seines Computers herum.
»Der errechnete Termin für was?«, frage ich.
»Der Geburtstermin«, antwortet er und lächelt mich schon wieder an.
Jetzt ist es offiziell: Mein Frauenarzt ist hinterhältig und berechnend.
»Was soll ich denn jetzt bloß machen?«, frage ich und starre ihn an.
»Sehen Sie, Frau Schmidt«, er tippt noch einmal energisch auf eine Taste und wendet sich dann wieder mir zu, »ich habe in meiner Praxis unglaublich viele Frauen, die nichts lieber wollen, als ein Kind zu bekommen. Aber sie werden nicht schwanger. Manchmal kann auch die Medizin ihnen nicht dabei helfen. Es ist keine Selbstverständlichkeit, schwanger zu werden. Alles, was Sie mir an Gegenargumenten genannt haben, kann ich verstehen. Ich bitte Sie nur um eins: Denken Sie in Ruhe darüber nach, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt, dieses Kind zu bekommen. Wenn Sie sich jetzt gegen diese Schwangerschaft entscheiden, ist das vielleicht eine Entscheidung für immer. Außerdem kann ich Ihnen nur ans Herz legen, mit dem Vater zu sprechen.« Damit steht er auf, tätschelt mir noch einmal die Schulter und entschwindet aus der Tür.
Ich bleibe mit den Zetteln in der Hand sitzen. Ich hatte mir von ihm eine Lösung des Problems erhofft. Jetzt weiß ich, dass das Problem aussieht wie eine Bohne, über einen Herzschlag verfügt und am ersten Juli zur Welt kommen wird.
Wenn ich es denn lasse. Schlagartig wird mir bewusst, dass diese Entscheidung nicht mehr nur mich betrifft. Da hängen jetzt verdammt viele Leute drin. Sie betrifft Olaf als Vater, mich als Mutter und die Bohne als Kind.
Plötzlich ist die Welt grau vor lauter Verantwortung, die auf meinen Schultern lastet oder besser: in meinem Uterus lauert.
Ich stopfe die Zettel in meine Handtasche und gehe. Die Praxis ist leer. Die Tür fällt geräuschvoll hinter mir ins Schloss. Dann fahre ich nach Hause, lege mich auf mein Sofa, ziehe mir meine karierte Kuscheldecke über die Ohren und beginne einen Heul- und Schluchzmarathon, der bis Mitternacht dauert.
Als ich damit fertig bin, gehe ich ins Bett und schlafe. Traumlos und leer geweint.
Kapitel 3
Als der Wecker am nächsten Morgen klingelt, brauche ich sehr lange, bis es mir gelingt, die Augen zu öffnen. Ich wundere mich über meine schweren Lider und lasse den gestrigen Tag langsam im Kopf Revue passieren, als mich die Erkenntnis kalt und aus dem Hinterhalt trifft: Ich bin schwanger!
Schlagartig ist alles wieder da – die vielen blauen Pluszeichen und der Besuch bei meinem Gynäkologen. Und wie auf Befehl wird mir schlecht. Nicht nur ein bisschen schlecht, sondern gleich das volle Programm.
Ich springe hektisch aus dem Bett, bleibe mit dem rechten kleinen Zeh schmerzhaft am Türrahmen hängen und schaffe es mit einem plumpen Hechtsprung gerade noch, die rettende Kloschüssel zu erreichen. Diese umklammere ich dann Halt suchend gefühlte zwei Stunden lang, während meine Knie langsam blau werden und ich vor Kälte schlottere.
Nachdem mein Magen sich wieder beruhigt hat, wanke ich völlig zerschlagen in die Küche. Etwas verloren stehe ich vor dem geöffneten Kühlschrank und starre hinein. Die Übelkeit ist Hunger gewichen. Nagendem, brennendem Hunger auf irgendetwas. Ich wühle mich durch die Fächer und zerre schließlich eine Viererpackung grünen Wackelpudding hervor. Mit einem Löffel und dem Pudding bewaffnet, lasse ich mich auf meinen alten Ledersessel fallen. Auf dem Weg dorthin greife ich noch mein wild blinkendes Handy, und während ich den grünen Glibber in mich hineinschaufle, öffne ich die eingegangene SMS . Es ist die Aufforderung von Andrea, mich UMGEHEND (groß geschrieben, mit fünf Ausrufungszeichen) zu melden. Das tue ich. Während es klingelt, inhaliere ich bereits den zweiten Becher Wackelpudding.
»Bist du bescheuert? Du wolltest dich gestern melden!«, faucht Andrea mir ins Ohr.
»’tschuldigung. Hab ich vergessen«, nuschle ich. Vergessen habe ich sie nicht wirklich. Aber die Last der Welt war gestern Abend einfach zu übermächtig, als dass ich meine pragmatische Schwester daran hätte teilhaben lassen können. Schließlich musste ich heulen und mich in Selbstmitleid suhlen.
»Wie war es denn jetzt beim Arzt?«, übergeht sie meine
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