Nicht die Bohne!
starre auf das leere Blatt Papier.
Also los jetzt! Eine Pro- und Kontra-Liste erstellen! Zügig! Ich fange mit der Überschrift an und schreibe in Schönschrift: »Pro und Kontra Bohne mit Herzschlag«.
Dann lehne ich mich auf meinem Stuhl zurück und trinke einen Schluck Kaffee. Sofort wird mir speiübel. Meine Geschmacksknospen funken hektisch eine Gefahrenmeldung an mein Hirn, und ich spucke alles wieder in die Tasse zurück. Verwundert starre ich die braune Brühe an. Entweder ist die gesamte Kaffee-Ernte der Welt geschmacklich durch sauren Regen oder Schlimmeres versaut, oder mit mir stimmt etwas nicht.
Ich öffne vorsichtig meinen Laptop und fahre ihn hoch, um Google zu meiner spontanen Kaffeeabneigung zu befragen. Mit Google ist es nämlich so: Entweder löst es dein Problem, oder es macht es noch größer. In meiner Situation vermute ich Letzteres. Langsam tippe ich »schwanger mag keinen Kaffee mehr« in die Suchleiste und peng: fünfundzwanzig Millionen Einträge.
Die folgende Stunde verbringe ich damit, die Ergebnisse zu sichten und mir Notizen zu machen. Ich komme zu folgendem Ergebnis: Es gibt unfassbar viele Frauen, die schwanger sind. Mindestens ein Drittel von ihnen (grobe Schätzung) mag keinen Kaffee mehr. Da Koffein im Verdacht steht, Fehlgeburten auszulösen, halten viele Menschen, darunter Mütter und Mediziner, es für möglich, dass der Körper das Baby durch die spontane Kaffeeabneigung schützen will.
Fazit: Mein Körper will schwanger bleiben.
Das finde ich ziemlich gemein, schließlich soll ich hier doch frei und unbeeinflusst eine Entscheidung treffen, und prompt muss ich wieder ein wenig weinen. Meine Gebärmutter ist nicht nur befruchtet, sondern auch noch hinterhältig!
Während ich leise vor mich hin schluchze, klingelt mein Handy. »Jutta« verkündet mir das Display. Ich ziehe geräuschvoll die Nase hoch und drücke den grünen Knopf.
»Hallo, Süße!«, jubelt sie mir ins Ohr. »Ich bin wieder da!«
»Endlich!«, sage ich und fange sofort wieder an zu weinen. Diese dumme Heulerei scheint langsam zur Gewohnheit zu werden.
»Was ist los?«, fragt sie alarmiert.
»Ich bin schwanger und brauche Rettung«, schluchze ich in den Hörer.
»Ach du Scheiße! Ich bin gleich da!« Ohne meine Antwort abzuwarten, legt sie auf. Keine zehn Minuten später klingelt es an der Tür. Ich öffne, und Jutta nimmt mich in den Arm. Dann manövriert sie mich energisch zum Sofa und drückt mich in die Polster.
»Erzähl!«, fordert sie mich auf, und ich erzähle. Alles, selbst die Dinge, die sie schon weiß. Dass ich nämlich keine Kinder mag und mein Körper anscheinend bereits jetzt einen verräterischen Pakt mit der Bohne geschlossen hat, was sie mit einem wissenden Nicken hinnimmt. Jutta ist nämlich, wie gesagt, sehr weise.
Kennengelernt habe ich sie vor zehn Jahren bei einem Volkshochschulkurs zum Thema »Der Sinn des Lebens«. Keine Ahnung, was mich da geritten hat und wieso ich annahm, den Sinn des Lebens ausgerechnet mithilfe eines VHS -Kurses erforschen zu können, aber immerhin bin ich so Jutta begegnet. Sie war bereits damals um einiges weiser als der etwas verstockte Kursleiter. Der arme Mann denkt bestimmt noch heute mit Schrecken an sein Zusammentreffen mit ihr zurück.
Eines meiner festen Lebensziele ist es, mit fünfzig auch so weise zu sein wie sie. Jutta ist nicht nur fünfzig, sie hat ihre beiden Töchter, die mittlerweile mehr oder weniger erwachsen sind, ganz alleine großgezogen. Den Kindsvater hat sie vor etwa zwanzig Jahren wegen akuter Lebensunfähigkeit in die Wüste geschickt. Sie ist arbeiten gegangen, hat ihre Mammuts alleine erlegt und in die häusliche Höhle geschleppt. Wenn jemand Rat weiß, dann sie.
Nachdem ich den ausführlichen Bericht über meine dramatische Situation beendet habe, spitzt Jutta die Lippen und legt ihre Stirn in Denkerfalten. Dann legt sie mir die Hand aufs Knie und sagt: »Ich verrate dir ein Geheimnis: Ich mag auch keine Kinder. Bis auf meine eigenen, versteht sich. Vielleicht dehnt sich diese Sympathie noch auf die eigenen Enkelkinder aus. Zumindest hoffe ich das!« Sie grinst mich an. »Kinder sind laut, nervig und anstrengend. Was mich nicht daran gehindert hat, zwei eigene Exemplare in die Welt zu setzen. Aber eigentlich auch mehr zufällig. Hätte ich die Wahl gehabt, ich wäre vermutlich kinderlos geblieben. Ich habe mir zum Glück im Vorfeld keine wirklichen Gedanken darüber gemacht, was es bedeutet, Kinder zu haben. Mein Ex hat
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