Nicht die Bohne!
Lippen: »Schatz, deine eigenen wirst du mögen! Reg dich nicht auf. Und mit deinem Job … ganz ehrlich? Dieser verdammte Knochenjob, damit du in einigen Jahren eine eigene Abteilung bekommst? Das ist es doch nicht wert.« Dann vollzog er erneut eine 180-Grad-Drehung und klackerte beherzt auf der Tastatur seines Computers herum.
Er hatte mich nicht nur nicht ernst genommen, er hatte meine ganze kleine Welt nicht verstanden. In dieser Welt gehe ich als Frau arbeiten und mache Karriere. In dieser Welt bin ich frei und unabhängig und gleichberechtigt. In dieser Welt berührt es mich nicht, dass Mütter als Allgemeingut gelten und Kirchenmänner, Familienministerinnen, Tagesschausprecherinnen und Frau Müller von nebenan ihnen vorschreiben dürfen, wie sie ihre Rolle zu erfüllen haben. In dieser Welt fahre ich einen Porsche 911 in Grellrot und keinen Touran mit Kindernamen auf der Heckklappe.
Ich habe tatsächlich vier Jahre lang nicht begriffen, welch seltsames Gedankengut mein Freund mit sich herumträgt. Er war sozusagen ein Schläfer, gut getarnt als Unterstützer der Gleichberechtigung in dieser Welt.
Nach diesem Zusammenprall zwischen meiner und seiner Welt haben wir zweihundertachtzig Tage kaum miteinander gesprochen. Natürlich haben wir zwischendurch immer mal wieder probiert, unsere Welten einander anzunähern, aber dieses schreckliche Gefühl, tausendfünfhundertvierzig Tage überhaupt nicht verstanden worden zu sein, blieb und ließ sich auch nicht heilen. Olaf begriff einfach nicht, dass ich mich nicht »wieder einkriegen« und seinem ursprünglichen Plan doch noch zustimmen würde. Wir lebten so vor uns hin, und ich hatte wohl einfach vor lauter Stress im Job verdrängt, dass diese Beziehungs-Problematik zu wichtig ist, als sie unter den Teppich zu kehren. Das war auch der Grund, warum ich dann endgültig den Schlussstrich gezogen habe. Dem Schlussstrich folgte verzweifelter Vielleicht-versöhnen-wir-uns-doch-wieder-Sex, ein einziges Mal, mit dem Resultat, dass wir uns direkt danach so angebrüllt haben, dass meine Stimmbänder heute noch traumatisiert sind und jetzt die Bohne in meinem Uterus haust.
Auf den Punkt gebracht: Getrennt habe ich mich, weil ich zurzeit keine Kinder in die Welt setzen möchte. Und jetzt bin ich schwanger. Das ist doch zum Beklopptwerden!
Anstatt sofort wieder mit der Heulerei anzufangen, drücke ich die Wahlwiederholungstaste und lasse es klingeln. So lange, bis die freundliche Automatenfrau von T-Mobile mir erklärt, dass der Angerufene nicht antwortet. »Tatsächlich?«, fahre ich sie an und versuche es erneut. Ich halte meine Situation für angemessen wichtig, um diesen Telefonterror zu rechtfertigen. Geschlagene zehn Minuten lasse ich es klingeln, bis er endlich klein beigibt und abnimmt. Bevor er auch nur irgendetwas sagen kann, brülle ich »Ich bin schwanger!« in sein Ohr.
»Was?«, nuschelt er, und ich fauche: »Hörst du mir jetzt zu, verdammt?«
»Ja«, antwortet er, und seine Stimme klingt flach. Alle Ereignisse der vergangenen zweiundsiebzig Stunden sprudeln aus mir heraus. Ich beende meinen Bericht mit den Worten: »Was, um alles in der Welt, soll ich jetzt machen?«
Für einen Moment herrscht Funkstille, dann keucht Olaf in den Hörer: »Ich bin auf dem Weg zu dir!«, und legt auf.
Olaf ist definitiv angemessen erschüttert von der Sachlage. Er bleibt den ganzen Nachmittag, und wir sprechen und heulen gemeinsam. Immer wieder schaut er sich das Bohnenbild an, um sich danach dramatisch die Haare zu raufen. Bei seiner Fraggle-Frisur hat er da einiges zu tun.
Aber die Bohne befindet sich nun mal in MEINEM Bauch, und deswegen rufe ich ihn irgendwann zur Ordnung, und wir beginnen eine sachliche und ausführliche Diskussion darüber, was wir jetzt tun werden. Mit folgendem Ergebnis:
Fakt: Wir sind nicht mehr zusammen.
Vorgehen:
Jeder von uns schreibt alle Pro- und Kontra-Argumente bezüglich der Bohne mit Herzschlag auf, die ihm oder ihr einfallen. Damit treffen wir uns morgen Mittag wieder bei mir.
Sollten Pro-Argumente gefunden werden, gilt es, einen ausgeklügelten Umsetzungsplan gleich mitzuliefern.
Wir bleiben ruhig.
Wir bleiben ruhig und benehmen uns wie erwachsene Menschen.
Wir bleiben ruhig und benehmen uns wie erwachsene und emotional reife Menschen.
Als er fährt, geht es mir besser. Immerhin haben wir einen Plan. Ich dusche ausgiebig und koche mir dann endlich einen Kaffee. Mit der dampfenden Tasse setze ich mich an meinen Schreibtisch und
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