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Nicht die Bohne!

Nicht die Bohne!

Titel: Nicht die Bohne! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Steffan
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Entschuldigung, und ich halte in meiner Wackelpudding-Orgie inne. Es wäre sicher besser, wenn ich den Herzschlag der Bohne nicht erwähnen würde. Eine Zelle ohne Herzschlag ist immerhin nur eine Zelle. Ich könnte ihr auch erzählen, dass der Termin gut war und ich jetzt nur noch einen Beratungstermin bei »pro familia« brauche. Das alles schießt mir im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf.
    Doch was ich sage, ist Folgendes: »Es hat ein Herz. Und ich muss mit Olaf reden. Und ich habe ein Foto. Und ich habe heute Morgen gekotzt. Und ich weiß nicht, was ich tun soll!«
    »Okay«, antwortet sie gedehnt. »Wir zwei müssen reden. Am besten gleich. Kannst du dich krankmelden?«
    »Krankmelden?« Empört über diesen Vorschlag, linse ich zu meiner Küchenuhr. Es ist halb acht. Eigentlich bin ich nach der innigen Zwiesprache mit meiner Kloschüssel sowieso schon zu spät. Zumal die Wiederherstellung eines angemessenen Äußeren nach dem gestrigen Heulabend etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen würde.
    »Krankmelden«, wiederhole ich leise und schaue Hilfe suchend aus dem Fenster. Außer dem üblichen Novemberregen entdecke ich dort leider nichts, was mir meine Entscheidung erleichtern könnte.
    »Süße!«, dringt Andreas energische Stimme an mein Ohr. »Wir müssen jetzt erst mal einen Plan machen. Gönn dir bitte einen Tag Ruhe. Ich bringe die Kinder in den Kindergarten und komme dann vorbei.« Ende der Durchsage. Sie legt auf. Ich blättere mich durch meine Telefonbucheinträge und rufe meinen Chef an.
    Mit matter Stimme erkläre ich ihm, dass ich krank bin und heute zu Hause bleibe. Er fragt nicht, was ich habe, sondern zählt lediglich pikiert auf, was heute alles Dringendes ansteht. Ich krümme mich innerlich, schließlich bin ich eine wirklich fleißige Arbeitsbiene und vertrete die Auffassung, dass ohne mich in diesem Laden nichts mehr läuft. Schon gar keine Autoteile vom Produktionsband. Aber in diesem Fall hat Andrea recht.
    Ich muss mich sortieren, und das geht im Büro nicht, schon gar nicht im Beisein meines Chefs. Also verweise ich auf meine übliche Urlaubsvertretung Frau Karmon und biete ihm an, sie telefonisch über die wichtigsten Dinge in Kenntnis zu setzen. »Tun Sie das«, antwortet er kühl, und damit ist das Gespräch beendet.
    In den zwei Jahren, in denen ich jetzt für ihn arbeite, war ich nicht ein Mal krank. Oder zu spät. Ich habe in diesem Jahr noch einundzwanzig Urlaubstage, und es ist, wie gesagt, bereits November. Und mein Chef bringt kein »Gute Besserung, Frau Schmidt!« über die Lippen?
    Das ist meinem eh schon stark gebeutelten Seelenzustand nicht gerade zuträglich, und ich muss mich erst einmal sammeln, ehe ich meine Kollegin Brigitte Karmon mit einem Haufen Zusatzaufgaben erfreue.
    Brigitte erleichtert mich ein wenig von meinem nagenden schlechten Gewissen und verspricht, sich um alles Brennende auf meinem Schreibtisch zu kümmern. Ich solle mich ganz in Ruhe auskurieren und mal nicht an die Arbeit denken. Zutiefst dankbar über ihre Ruhe und Freundlichkeit kommen mir, mal wieder, die Tränen, und ich schaffe es gerade noch aufzulegen, bevor ich Rotz und Wasser heule.
    Ich heule und schluchze, bis Andrea um Viertel nach acht auf der Matte steht. Und dann heule und schluchze ich weiter. Langsam beschleicht mich die Befürchtung, dass ich mit dieser Heulerei vielleicht nie mehr aufhören kann. Wie soll ich das bloß im Büro erklären? Dauer-Heuschnupfen im November?
    Andrea dagegen ist die Ruhe selbst und ignoriert mich und meine Tränenflut erst mal weitestgehend. Ganz entspannt kocht sie Tee. Dann holt sie aus ihrer überdimensionierten Handtasche eine kleine Tüte mit frischen Donuts. Energisch drückt sie mir eins von den klebrigen Dingern in die Hand und manövriert mich zurück zu meinem Sessel.
    »Hast du die zum Frühstück gegessen?«, fragt sie erstaunt, als sie die stummen Zeugen meiner Wackelpudding-Orgie in Form der leeren Becher entdeckt, und ich nicke zögernd.
    »Sag jetzt nichts, ich liebe Wackelpudding«, murmele ich, und als ich ihre hochgezogenen Augenbrauen sehe, füge ich ein trotziges: »Immer schon und auch zum Frühstück!« hinzu. Mir ist selbst klar, dass ich gerade sämtliche Klischees zum Thema Schwangerschaft erfülle.
    Und prompt erwidert Andrea: »Ich würde eher sagen: Schwangerschaftsgelüste.« Energisch räumt sie die leeren Becher in den Mülleimer. Meine Schwester leidet, seitdem sie Kinder hat, unter diversen sehr interessanten Zwängen.

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